Die schöne Philippine Welserin: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
dagegen war ein Trunkenbold, ist arm und wahrscheinlich im Suff gestorben. Nichts als ein muffiges, baufälliges Haus hat er ihm hinterlassen.
Und wenn schon, hätte ich am liebsten geschrien.
Zählt nicht allein das, was zwei Menschen miteinander verbindet?
Onkel Bartholomé schießt mir plötzlich durch den Kopf, der mich liebt und stets nur das Beste für mich will. Vielleicht könnte ich ja ihn um Unterstützung bitten! Falls er bereit wäre, ein wenig Kapital vorzustrecken, könnte Caspar womöglich …
Nein, ihm muss ich es zuerst sagen!
Caspar ahnt ja nicht, in welch aufgelöstem Zustand ich mich befinde.
Doch wie wird er darauf reagieren?
Zugeneigt oder abweisend?
Waren seine Komplimente und Schwüre, die er mir ins Ohr geflüstert hat, nichts als heiße Luft? Ist er ein Luftikus und Taugenichts wie Vater, der keinem Rock widerstehen kann?
Oder fühlt er für mich inniglich und tief?
Noch nie zuvor habe ich das Morgenlied der Vögel so sehr herbeigesehnt.
Wenn es doch endlich, endlich Tag wäre …
*
Bei diesem Gang waren Philippines Füße schwer. Und auch ihr Herz klopfte bei jedem Schritt hart gegen die Rippen. Dabei hätte der Tag schöner kaum sein können, ein blauer Junimorgen mit duftigen weißen Wolken, die über den Himmel zogen, als habe der Sommer bereits Einzug gehalten. In der Nacht war ein kräftiges Gewitter über Augsburg niedergegangen; jetzt roch die Stadt wie frisch gewaschen – bis sie das Lechviertel mit seinen fleißigen Handwerksbetrieben erreicht hatte. Aus einem der Gerberhäuser, wo sie Lederstücke zum Trocknen aufgehängt hatten, kam ihr eine Urinwolke entgegen.
Sie wandte den Kopf ab, versuchte, ganz flach zu atmen.
Waren das die Gerüche, die ihr künftig in die Nase stechen würden, sobald sie vor die Tür trat?
Auf der kleinen Brücke machte sie Halt, strich ihr Kleid glatt, bevor sie noch zögerlicher weiterging. Sie hatte sich für leuchtendes Blau entschieden, weil es ihre Augen zum Strahlen brachte, und trug das Haar heute offen, von einem Blütenreif aus der Stirn gehalten, wie es Onkel Bartholomé am besten an ihr gefiel.
An ihn zu denken, machte ihr Mut. Er würde sie niemals fallen lassen, egal, was auch geschah!
Mit seinem Segen wäre sie zu diesem neuen Leben bereit.
Die Tür zu Caspars Haus stand offen, wie damals. Trotzdem schlug Philippine mit der Faust kräftig an das Holz, bevor sie eintrat.
»Du?« Er streckte seinen Kopf aus der Küche heraus und starrte sie an wie eine Erscheinung.
»Ja, ich.« Sie bemühte sich um ein Lächeln, was ihr schwerfiel, so trocken war der Mund auf einmal. »Wir sollten reden, Caspar.«
Eine steile Falte erschien zwischen seinen Brauen.
»Vielleicht ein anderes Mal? Wie du siehst, habe ich jede Menge zu tun!« Er schien am Um- oder Ausräumen zu sein. Die Unordnung in dem niedrigen Raum war nicht besser als beim letzten Mal – aber irgendwie anders.
Nach Aufbruch roch es. Und nach Abschied.
Philippine spürte einen unangenehmen Druck auf der Brust. Häuser sind von dem Leben getränkt, das in ihnen geführt wird, davon war sie schon seit Langem überzeugt. Das Haus ihrer Kindheit hatte viel Schmerzliches gehabt, weil auf den Vater kein Verlass gewesen war; im Peutingerhaus dagegen, das sie nun seit einem Jahrzehnt beherbergte, spürte man bis heute den Atem des großen alten Humanisten. Caspars Haus verströmte etwas Dunkles, Auswegloses, das sie heute stark wie nie zuvor empfand.
Vielleicht war es besser, diese Vergangenheit zurückzulassen.
Aber wo sollten sie dann leben?
»Du willst das Haus von Onkel Marx verkaufen?«, sagte sie.
»Was sonst? Natürlich werde ich es verkaufen. Und das so schnell wie irgend möglich. Ich brauche jeden Heller. Jetzt, wo ich bald … « Er brach ab. »Weshalb bist du hier?«
»Ich muss dir etwas sagen.« In ihrer Aufregung hatte sie ihre Stimme erhoben. Unangenehm klang sie in ihren eigenen Ohren, schrill, fast keifend. Philippine machte einen Schritt auf ihn zu, weil sie ihm näher sein wollte, während er im gleichen Augenblick zurückwich, was ihr einen Stich versetzte. »Etwas, das uns beide betrifft. Etwas sehr Wichtiges. Caspar, ich glaube, ich bin … «
Abwehrend erhob er die Hände.
»Da bist du bei mir an der falschen Adresse, Pippa! Denn ich hab etwas anderes vor mit meinem Leben.« Sein Blick flog über ihren Leib, abschätzig, ganz und gar nicht erfreut. »Such dir einen anderen, denn du und ich, so etwas würde doch niemals gut gehen, und das
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