Die schöne Philippine Welserin: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
blieb still, setzte weiterhin scheinbar konzentriert Schritt um Schritt.
»So siehst du das also, Pippa«, sagte er schließlich kleinlaut.
»Allerdings«, sagte sie. »Wir haben nur die Menschen, mit denen wir leben, und mit denen müssen wir auskommen. Alles andere sind Traumgespinste, Wahnvorstellungen, die nichts als Unglück bringen. Du kannst nicht alles haben, Karl. Keiner kann das. Ich denke, du bist inzwischen alt genug, um das endlich zu begreifen.« Ihre Stimme wurde weicher. »Sprich dich aus mit deiner Frau! Sorge dafür, dass sie sich anständig aufführt. Und tu selbst deinen Teil dazu – mehr gibt es für mich nicht dazu zu sagen.«
Damit ließ sie ihn stehen und ging Ferdinand entgegen, der am anderen Ende der Gasse gerade seine Dame verabschiedete.
»Hast du auch solch einen Riesenhunger wie ich?«, sagte er, bevor er seine Maske abstreifte, heute ausnahmsweise mal nicht als Göttervater Zeus gewandet, sondern als Meeresbezwinger Poseidon, der große bläuliche Schuppen auf seinem Seidenmantel trug. Den Dreizack, eigenhändig in der Schlossschmiede gefertigt, übergab er einem Diener.
»Und wie!«, sagte sie lächelnd und ließ sich von ihm zur Tafel führen.
*
Schloss Ambras, 9. Mai 1570
Die Seele braucht ihre Zeit, um zu heilen.
Niemals habe ich diesen Satz besser verstanden, als in diesen Tagen. Nach außen hin bin ich ganz die Alte: freundlich, fürsorglich, eine Frau, die wieder lächeln kann und ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der anderen zeigt.
Hat nicht Ferdinand das Recht auf eine heitere Gefährtin, die ihm die Sorgen von der Stirn küsst?
Eine ganze Weile hat er meine Trauer treu begleitet, dann jedoch sich mehr und mehr zurückgezogen, als könne er das Dunkel nicht länger ertragen. Beinahe hätte ich ihn verloren, hätte Tante Kat mich nicht gerade noch zur Vernunft gebracht.
Er kann nicht fühlen wie du, Pippa. Er ist ein Mann. Ihre Körper verändern sich nicht. Sie wissen nichts.
Aber sie war doch auch sein Kind!
Er hat zwei gesunde Söhne. Und du auch. Oder hast du das schon vergessen?
Ihre Worte waren für mich wie ein Aufwachen, ein Emportauchen aus tiefem Grund.
Seitdem gehe ich mit anderen Augen durch das Schloss, und auch Andreas und Karl scheinen das zu spüren, obwohl in ihrem Leben derzeit wenig Raum für eine Mutter ist, die nicht mehr lange im Sattel sitzen kann, weil ihr das Herz sonst bis zum Hals schlägt.
Meine Söhne werden keine großen Gelehrten, das ist schon jetzt abzusehen, wiewohl verschiedenste Hauslehrer sich redlich mit ihnen plagen. Onkel Bartholomé würde sich das spärliche Haupthaar raufen, könnte er sie bei ihrem Stümpern sehen. All das Lob, das er mir einst gespendet hat, würde er ihnen kaum zollen.
Natürlich erhalten sie Unterricht in Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Musik und Astronomie sowie Arithmetik und Geometrie. Wozu das allerdings nötig sein soll, weiß ich noch nicht so genau. Zum Lesen sind sie oft zu faul, und auch Rechenkünste besitzen die beiden nicht gerade im Übermaß. Darin kommen sie wohl nach ihrem Vater, dem es schwerfällt, mit Geld sinnvoll umzugehen, und der am liebsten alles verprasst, bis die Kassen blank sind.
Im Schriftlichen sind Andreas und Karl so unbeholfen, dass mir manchmal ganz bang wird, wie sie später einmal ihre Korrespondenzen führen sollen. Sie werden Bedienstete brauchen, die das für sie erledigen, wenn sie sich nicht öffentlich blamieren wollen. Wenigstens sprechen sie drei Sprachen leidlich – Deutsch, Italienisch und Tschechisch. Ihr Latein dagegen ist noch immer so mangelhaft, dass ich es lieber erst gar nicht erwähne.
Ernst von Rauchenberg, Kämmerer zu Ambras, scheint noch am ehesten Zugang zu ihnen zu finden. Er spornt sie an, sich körperlich zu ertüchtigen, leitet sie im Pallone-Spiel an, wo es darum geht, den Ball richtig zu schlagen. Außerdem unterweist er sie im Schach. So lernen sie zu begreifen, was Taktik ist, und dass man beileibe nicht immer gewinnen kann, sondern oft auch verliert. Es fällt ihnen schwer, das einzusehen, vielleicht, weil sie sich von frühester Kindheit an innerlich zurückgesetzt gefühlt haben.
Am liebsten üben sie mit Adam von Sonnegg, Evas ständigem Verehrer, den sie anbeten, weil er ihnen das Kämpfen beibringt. Manchmal bleibt mir schier das Herz stehen, wenn er sie in ihren Kinderharnischen mit Lanze und stumpfem Schwert gegeneinander antreten lässt.
Keine ungefährliche Angelegenheit.
Sie verletzen sich,
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