Die Schoene und der Milliardaer
hatte das Gefühl, ihm etwas vorzumachen und ihn hinzuhalten. Beides hatte dieser herzensgute Mann nicht verdient. Sie wollte Marcus nicht verletzen. Und von David wollte sie nicht verletzt werden. Sie musste eine Entscheidung treffen.
Wenn sie nur jemanden hätte, dem sie sich anvertrauen könnte!
Ihre Eltern waren vor zwölf Jahren, als sie dreizehn war, mit dem Auto tödlich verunglückt. Doch es war kein Unfall gewesen. Er war absichtlich herbeigeführt worden. Sie wusste, wer dahintersteckte, wer die Fäden gezogen hatte. Aber dafür würde er sich vor keinem Gericht verantworten müssen. Er lebte weit weg in Amerika. Er verfügte über die Macht, die Verbindungen und das Geld, über Kontinente hinweg so etwas geschehen zu lassen. Sein Name würde mit solchen Tragödien niemals in Verbindung gebracht werden. Laszlo hatte Freunde in den höchsten Positionen, seine Feinde konnten ihm nichts anhaben. Er verdiente sein Vermögen in der Ãl- und Stahlindustrie. Er war Milliardär wie die Wainwrights.
Doch sie besaà etwas, das er unbedingt haben wollte: die Ondrassy-Madonna. Sie stammte aus dem Mittelalter. Ihr Gewand und die Kopfbedeckung waren mit Edelsteinen besetzt. Seit dem siebzehnten Jahrhundert befand sich die kostbare Statue in Familienbesitz. Wie alle anderen hatte Laszlo lange geglaubt, dass sie sich als Kriegbeute irgendwo in Russland befände, denn gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war der Stammsitz der Familie von einmarschierenden Sowjets geplündert worden. Zu der Zeit hatte Karoly, Lazslos Vater, mitsamt seiner Familie bereits Europa verlassen und war sicher in den Vereinigten Staaten angekommen, wo er später wieder zu Vermögen kam.
Sein älterer Bruder Matthias, das Oberhaupt der Ondrassy-von-Neumann-Familie hatte sich geweigert, zu fliehen und sein Erbe preiszugeben. Seine Frau war bei ihm geblieben. Beide, UrgroÃvater und UrgroÃmutter, wurden verschleppt, niemand hatte je etwas von ihrem Schicksal erfahren. Doch ihrer damals fünfzehnjährigen Tochter Katalin, Sonyas GroÃmutter, gelang mit Hilfe eines treuen Hausangestellten die Flucht. Ihr hatte man die Madonna mitgegeben.
Nun befand sie sich in Sonyas Besitz und bewies ihre Herkunft. Sie gab ihr Kraft, doch gegen Laszlo bot sie keinen Schutz. Ganz im Gegenteil. Der Besitz gefährdete sie.
Nach dem Fall der Berliner Mauer war die Rückgabe des völlig heruntergekommenen Familienstammsitzes an die Ondrassy-von-Neumann-Familie möglich geworden. Laszlo beanspruchte und bekam ihn, obwohl Matthiasâ Nachkommen die rechtmäÃigen Erben waren. Doch Sonya konnte ihren Anspruch nicht geltend machen. Laszlo würde sie eher aus dem Weg räumen lassen, als ihr irgendetwas zu überlassen, das er in Besitz genommen hatte. Er war ein einflussreicher Mann, er war reich, er konnte sich ein ganzes Team von Anwälten leisten. Sie besaà nichts. Und sie hatte die Erfahrung gemacht, dass das Recht sich meist auf die Seite der Mächtigen schlug. Inzwischen hatte Laszlo ein Vermögen in sein Geburtsland gepumpt und sich dort eine Menge Freunde gemacht. Viele der bei Kriegsende gestohlenen Gemälde und Kunstschätze waren an ihn zurückgegeben worden. Nur die Madonna fehlte ihm noch.
Sie gehörte ihr. Es war der einzige Besitz, den ihre GroÃmutter aus dem vom Krieg gebeutelten Ungarn hatte retten und an sie weitergeben können.
Sonya versuchte, die düsteren Erinnerungen zu vertreiben. Vor allem an die harten Jahre nach dem Tod ihrer GroÃmutter, in denen sie sich von Feinden umgeben sah, und sie hatte lernen müssen, niemandem zu vertrauen. Ein junges hübsches Mädchen ohne Angehörige war zu vielen Menschen als leichte Beute erschienen. Erst seitdem sie in Australien lebte, fühlte sie sich besser. Es war ein friedliches freies Land, wo sie sich allmählich erholte und Boden unter den FüÃen gewann.
Deshalb bedauerte sie, dass sie David Wainwright an den Kopf geworfen hatte, seine Vorfahren seien Emporkömmlinge gewesen. Da war ihr Temperament mit ihr durchgegangen. Sie hatte geglaubt, es überwunden zu haben. Doch offenbar weckte David all die Gefühle, die sie unter der Obhut ihrer liebevollen Eltern entwickelt hatte, nun wieder zum Leben.
Inzwischen war es Zeit geworden, sich anzukleiden. Sie kombinierte zwei Stücke, die sie mochte und in denen sie sich wohl fühlte. Eine rosa Seidenbluse und eine helle Hose, zu
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