Die schoenen Hyaenen
kennengelernt hatte, sprach er nun zum erstenmal über sich und seine persönlichen Interessen. Die Kälte der Ärzte war Mary Jane ja vertraut. Doch Moore glich den anderen nicht. Er trat mit der gleichen Selbstsicherheit auf wie alle anderen Ärzte, die sie kannte. Doch darüber hinaus verhielt er sich zwar förmlich und reserviert, aber immer auch mitfühlend.
Bei dein Rundgang lernte Mary Jane den Arzt erst richtig kennen. Seine Klinik lag ihm mehr am Herzen als alles andere. Aus der ganzen Welt wurden ihm Kinder gebracht, die mit so entsetzlichen, so grauenvollen Missbildungen zur Welt gekommen waren, daß die Eltern sie aussetzten, weil sie ihnen keine Überlebenschance gaben. »Das kann man auch verstehen«, entschuldigte Brewster Moore die Eltern sachlich. »Wir haben uns daran gewöhnt, daß ein Baby lächelt und reagieren darauf. Doch manchen dieser Kinder fehlt der Mund, mit dem sie lächeln könnten. Auch gebildete Eltern können sich nur schwer mit solchen Problemen abfinden. Da können Sie sich denken, wie ein Bauer in Peru das sieht.«
Moore stellte sie Winthrop vor, einem kanadischen Jungen, dessen Eltern beim Absturz eines Privatflugzeugs umgekommen waren. Nur er hatte überlebt, wenn auch bis zur Unkenntlichkeit von Verbrennungen entstellt. Inzwischen hatte er ein neues Gesicht, das aus Hautübertragungen von seinem Rücken und seinen Oberschenkeln entstanden war.
Hilda, ein blondes dreijähriges Mädchen, wurde einen Tag nach ihrer Geburt auf den Stufen einer Kirche gefunden. Seit sie in die Klinik gebracht worden war, hatte man ihre Hasenscharte zwar beseitigt, doch sie brauchte noch eine Nase.
Raoul, zwölf Jahre alt, stammte aus Honduras. Er konnte sich nur mit seinen strahlenden Augen und den geschickten, ungemein aussagestarken Zeichnungen verständigen, da er ohne Zunge und Unterkiefer geboren wurde.
Die Ausstattung der Krankenstation entsprach dem modernsten Standard. Der Operationssaal galt als musterhaft für das ganze Land. »Wie können Sie das nur alles bezahlen?« wunderte Mary Jane sich, angesichts der Apparaturen und Geräte und des vielen Personals.
»Wir erhalten gewisse Unterstützungszahlungen vom Staat, viele private Spenden, und der Rest wird aus meinen Einnahmen finanziert. Ich nehme an sehr reichen und einflussreichen Persönlichkeiten kosmetische Operationen vor.« Er lächelte. »Damit kann ich vielen helfen.«
»Nun fühle ich mich noch schäbiger«, meinte Mary Jane.
Er blieb mitten im Gang stehen. »Das sollten sie nicht. Machen Sie sich von puritanischen Vorstellungen, wie denen der schicksalhaften Vorbestimmung, frei oder den überholten Moraltheorien, wonach Äußerlichkeiten mit Eitelkeiten gleichzusetzen sind. Manches hat sich nämlich seit Urzeiten nicht geändert. Ihr Gesicht ist Ihr Vermögen. Diese Kinder können das bezeugen.«
Mary Jane vertraute Brewster Moore bedingungslos. Das sagte sie sich immer wieder. Außerdem war sie Krankenschwester und kannte Krankenhäuser seit Jahren von innen. Dennoch verspürte sie grenzenlose Nervosität vor dem ersten »Verfahren«, wie Miss Hennessey das auszudrücken beliebte.
Denn Patientin war Mary Jane nie gewesen. Seit ihrer Geburt hatte sie sich einer robusten Gesundheit erfreut.
Die erste Operation erschien ihr wie ein Alptraum. Sie wurde in ihrem Bett endlose Gänge entlanggefahren. Im Fahrstuhl starrten sie die Besucher an, die mit Blumen und Geschenken ihre Verwandten und Angehörigen oder Freunde besuchten. Die Hilfskraft, die Mary Janes Bett schob, ging mit ihm um wie mit einem Einkaufswagen im Supermarkt. Sie blieb immer wieder stehen und schwatzte mit Kolleginnen. So atmete Mary Jane auf, als sie den Operationsbereich erreichten.
Wäre es nicht um eine Operation gegangen, der Mary Jane sich freiwillig unterzog, sondern um eine lebensrettende, hätte sie vielleicht weniger unter der Gefühllosigkeit des Hilfspersonals gelitten. Doch so spürte sie deutlich Verachtung und Missgunst, die einem Menschen galten, der Geld genug besaß, um sich Schönheitsoperationen zu unterziehen.
Mary Jane hatte achtunddreißig Pfund verloren. Ihr Bauchansatz war verschwunden. Doch nun hing die Bauchdecke schlapp und faltig herunter. Das sollte die Operation beheben. Es war eine verhältnismäßig schwere Operation. Dr. Moore hatte entschieden, daß sie als erstes erfolgen sollte, damit Mary Jane genügend Zeit blieb, sich zu erholen.
Brewster Moore hatte ihr gesagt: »Sie haben so viel Gewicht verloren, wie nötig
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