Die schönste Zeit des Lebens
Noch weiß er nicht, wer er ist. Aber er wird es herausfinden. Mit ihrer Hilfe vielleicht.
32
SAMSTAG. EIN TAG WIE SEIDE , sagt Edith. Auf der Straße vor dem Haus steht der Kleinlaster von der Schreinerei Zülpich, beladen mit dem alten Gerümpel aus dem Keller. Egon hat ihn sich ausgeliehen, um damit zum Wertstoffhof zu fahren. Edith auf der Terrasse steht vor dem gedeckten Tisch. Einen Augenblick steht sie wie geistesabwesend da, die rechte Hand an die Stirn gelegt, als versuche sie sich an etwas zu erinnern, etwas, das ihr entfallen ist, obwohl es von großer Bedeutung wäre, es gerade jetzt ans Licht zu ziehen. Dann, ganz plötzlich, gibt sie sich einen Ruck, nimmt die Kanne und gießt Kaffee ein.
So, jetzt wird erst einmal gefrühstückt, ruft sie ihren beiden Männern zu.
Frühstück auf der Terrasse. Kaffee, Zeitung, Leberwurst von Großmann. Bei den Markmanns, so könnte man meinen, kommen die Dinge wieder ins Lot. Wenn Egon jetzt noch die Stelle beim TSV kriegt … Edith Markmann bewegt sich mit äußerster Vorsicht zwischen ihren kleinen Hoffnungen, sie lässt sich nicht anmerken, was ihr an diesem milden Morgen im Kopf herumgeht. Aus den Augenwinkeln sieht sie ihre beiden Männer am Tisch sitzen, stumm kauen sie, schlürfen den Kaffee aus der Tasse, die sie mit beiden Händen halten. Wie ähnlich sie sich sind, denkt sie und erschrickt sogleich, als hätte sie den Gedanken ausgesprochen und die prekäre Balance zerstört.
Wir müssen los. Sonst nehmen die beim Wertstoffhof das Zeug nicht mehr an.
Egon schlägt sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel, springt auf, entschlossen, tatkräftig, fast schon wieder der Alte.
Auf dem Rückweg könnt ihr bei der Reinigung mein Kleid abholen, sagt Edith und drückt Robert einen Zettel in die Hand.
Egon sagt nichts. Dass das zu teuer ist, zum Beispiel, dass sie es sich nicht leisten könnten, ihre Kleider in die Reinigung zu bringen. Vielleicht hat er es auch gar nicht gehört. Oder es ist ein weiteres Zeichen, dass nun alles anders wird.
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ROBERT HAT SEIN FAHRRAD in den Schuppen gestellt, seinen Rucksack auf sein Bett geworfen und ist in den Garten gegangen, weil es ein so milder Sommerabend ist. Sein Handy ist in seinem Rucksack. Darum hört er nicht, wie es klingelt, einmal, nach zehn Minuten noch einmal. Er liegt in der Sonne und denkt darüber nach, wie es wäre, wenn er im August mit Fari in Urlaub fahren würde. Im August hat er zwei Wochen frei. Sie könnten nach Dalmatien fahren, wo die Hotels jetzt besonders billig sein sollen. Andy und Marita wollen nach Dalmatien. Zu viert wäre es vielleicht leichter als zu zweit. Aber nach neulich Abend wird Andy mit ihm wohl nicht mehr Urlaub machen wollen. Und wenn er ihn einfach fragt? Wenn er einfach so tut, als sei nichts gewesen?
Ihr Name. Auch wenn er ihn nur denkt, schnürt es ihm schon die Kehle zu. Er liegt da, in der milden Abendsonne auf dem Rasen, die Augen geschlossen, und flüstert ihn vor sich hin: Fari. Viele Male hintereinander flüstert er ihren Namen, und jedes Mal ist es ein kleines Wunder, dass er ihn überhaupt herausbringt. Alles Schöne ist des Schrecklichen Anfang . Ihren Namen auszusprechen, löst eine Woge des Glücks in ihm aus, zugleich aber beschleicht ihn der Verdacht, dass er dieses Glück nicht verdient. Als maße er sich an, was ihm nicht zusteht, als breche er dreist ein Tabu. Es ist Seligkeit in dem Klang ihres Namens, Seligkeit und zugleich etwas, das ihm Angst macht, ihm die Kehle zuschnürt.
Telefon!
Die Stimme des Vaters. Er steht auf der Veranda winkt ihm.
Für mich?
Normalerweise wird Robert nur auf seinem Handy angerufen.
Eine Frau Sahabi oder so ähnlich, sagt der Vater, als Robert ins Wohnzimmer kommt. Robert nimmt das Telefon und geht in sein Zimmer.
Ja?
Hallo.
Es ist Fari.
Woher hast du die Nummer?
Aus dem Telefonbuch, sagt sie. Du gingst nicht an dein Handy. Ist es dir peinlich, wenn ich bei dir zu Haus anrufe?
Ich war im Garten, sagt er. Und: Schön, dass du anrufst.
Ihre weiche Stimme, sie ist tiefer als die Stimmen der anderen Mädchen, die er kennt. Wie ein unterirdischer Fluss, denkt er und weiß nicht, woher ihm das Bild in diesem Augenblick kommt.
Ob er heute Abend schon etwas vorhabe?
Heute Abend? Nein …, sagt Robert.
Der ruhige Fluss ihrer Stimme, alle Angst, alle Unsicherheit ist mit einem Mal weggespült.
Bin eben erst von der Altenhilfe zurück.
Übrigens, sagt sie, Frau Lehmann wird Ende der Woche entlassen.
Er schweigt
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