Die schönsten Dinge
angesäuselt die Treppe hinauf und flüstern, um unsere Eltern nicht zu wecken. Auf dem Absatz legt Sam mir eine Hand auf die Schulter.
»Netter kleiner Profit, du falsche Wissenschaftlerin«, sagt er. »Gut gemacht, Della.«
Ich sehe Sam nach, als er in sein Zimmer taumelt und auf sein ungemachtes Bett fällt, ohne die Tür zu schlieÃen oder die Schuhe auszuziehen, dann steige ich die letzte Treppe zu meinem Dachzimmer hoch. Das Fenster zeigt nach Westen, Richtung Stadt. Ich stelle mich unter die Dachschräge und lehne die Stirn mit geschlossenen Augen gegen die Wand. Das waren die Worte meines Vaters, genau das hat er vorhin auch gesagt. In den letzten Jahren waren irgendwie alle meine Projekte klein. Sicher und bescheiden. Ich habe schon seit einer Ewigkeit nicht mehr mit Champagner oder Hummer gefeiert. In Sams Kommentar hat keine Spitze gelegen, und doch hat es mich getroffen. Gut gemacht, Della, ein netter kleiner Gewinn.
Am nächsten Morgen schlafe ich aus, nach all dem Cognac und dem langen Aufbleiben. Beim Aufwachen ist mein Haar lockig und noch roter als sonst. In der Familie meines Vaters hat niemand solche Haare. Ich muss sie von der mütterlichen Seite her haben. Erst durch den Ernst des Alltags werden sie glatt und gedämpfter im Farbton. Das Frühstück habe ich verpasst. Als ich noch in Morgenmantel und Schlappen in die Küche schlurfe, sind die geräucherten Heringe längst verdrückt, die Eier pochiert und gegessen, und alles ist weggeräumt. Auf dem Herd wartet eingeschlagen in ein Küchentuch eine kleine Schüssel Porridge auf mich.
Als ich gerade den Löffel in der Hand halte, steckt jemand den Kopf durch die Tür: breites, strahlendes Lächeln, weicher blonder Schopf. Sogar auf die Entfernung kann ich seine Grübchen erkennen. Für diese Tageszeit wirkt er einen Hauch zu fröhlich.
»Guten Morgen, Prinzessin«, sagt er.
Ich hole tief Luft. »Timothy. Was für eine Ãberraschung.«
Er runzelt die Stirn. »Tatsächlich? Ich hab dich doch gesucht. Ich war schon ein paarmal hier, deine Cousins sollten es dir ausrichten.«
»Stimmt, eigentlich ist es keine Ãberraschung.«
»Hast du Zeit? Ich würde gerne mit dir reden.« Timothy zieht einen Stuhl zurück und setzt sich neben mich an den langen Kieferntisch. Er ist schon für die Arbeit angezogen: kurze Ãrmel, ein ordentlich gebügeltes Hemd, Stifte in der Brusttasche, eine marineblaue Hose. Sein Blackberry steckt in einem Gürtelholster. Er ist frisch wie der junge Morgen. Mir ist der Morgen noch deutlich zu jung. Mit ernstem Gesicht trommelt er mit den Fingern auf den Tisch. »Es ist wichtig«, sagt er.
Ich beuge mich über den Tisch, um das Schälchen und die Salz- und Pfeffermühlen zurechtzurücken. Dann nehme ich die Serviette vom Schoà und falte sie sorgfältig zusammen.
»Porridge?«, frage ich. »Es ist noch warm. Wenn du willst, streue ich dir braunen Zucker darüber.«
»Nein, danke, Del. Kein Porridge.« Er will nach meiner Hand greifen.
»Dann vielleicht einen Tee?« Ich springe auf, sodass der Stuhl über den Boden schrappt, und ziehe meinen Morgenmantel um mich zusammen. »Ruby würde es mir nie verzeihen, wenn ich einem Gast keinen Tee anbiete. Oder Saft? Vom Frühstück müsste noch frischer Saft übrig sein. Du bist doch bestimmt schon stundenlang auf. Da kannst du eine Pause brauchen.«
Er zieht kurz die Augenbrauen hoch, bevor er den Kopf schüttelt. »Nein, danke. Keinen Saft. Ich will nur mit dir reden.«
Ich sehe im Kühlschrank nach und hole einen flachen weiÃen Teller heraus. »Oh, schau mal. Pfannkuchen.«
»Nein, ich will wirklich nichts. Ich habe schon vor ein paar Stunden gefrühstückt. Die Lieferungen kommen früh, das weiÃt du doch, wir haben nicht die üblichen Geschäftszeiten. Warte mal, Pfannkuchen? Was für welche?«
Ich drücke durch die Frischhaltefolie darauf. »Blaubeeren.«
Als er nickt, lasse ich in einer gusseisernen Pfanne etwas Butter aus und plappere wahllos drauflos: über die letzten Blaubeeren des Jahres, die in Gläsern eingemacht in der Vorratskammer stehen, über meine Tante Ava, die sich nur von Nachtisch ernährt und behauptet, sie hätte seit 1979 nichts Grünes gegessen, und darüber, ob selbst gemachte Butter besser schmeckt als gekaufte. Er will mit mir reden. So etwas
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