Die schönsten Dinge
wie Porzellan, und wenn ich nicht wüsste, dass es nur ein alter Zahn ist, wäre ich fasziniert. In meiner Hand könnte genauso gut ein auÃergewöhnlich geformtes Juwel liegen.
»Sieh mal einer an«, sagt Daniel. »Vielleicht ist das ein Zahn von einem Tasmanischen Tiger. Man weià ja nie.«
Er hat recht. Man weià nie. Ich habe Wissenschaft noch nie als Glücksspiel betrachtet, aber jetzt erinnert sie mich an Roulette. Oder an eine Runde Two-up. Es heiÃt, Glücksspiel um Geld sei eine Steuer für Leute, die nichts von Wahrscheinlichkeitsrechnung verstehen, aber mir wird klar, dass es nicht ums Gewinnen geht. Es geht um diesen göttlichen Augenblick, in dem sich die Münze in der Luft dreht oder der silbrige Ball um die Zahlenscheibe saust oder man den kleinen Ansatz eines Knochens erspäht. In diesem strahlenden Moment, in dem nichts entschieden ist, ist alles möglich.
So schwierig ist das alles nicht. Ich hätte das schaffen können, wenn ich die Schule und nachher die Uni besucht hätte. Das hätte mein Beruf werden können. Wissenschaft, zumindest diese Art von Wissenschaft, gleicht eher einer Art Handwerk, einer manuellen Fertigkeit, bei der kluge Menschen, mit geschickten Händen aus Knochenfragmenten, Fotos von Spuren und Kratzern an Bäumen Geschichten zusammenzusetzen. Als würde man aus bunten Stoffstückchen einen Quilt fertigen. Ich fühle mich leicht und konzentriert, voller Energie.
Julius und Greta arbeiten so einträchtig, als hätten sie seit Monaten für die Olympiade im Synchronspurensammeln geübt. Sie zeigen Daniel, wie man das Gewicht eines Tieres daran abschätzt, wie tief seine Spuren im nassen Sand sind, wie man einen Gipsabdruck von dem Abdruck einer kleinen Pfote nimmt und wie man einen Messstab neben einem Tierbau platziert, damit man auf dem Foto die GröÃe erkennt. Sie sind Profis, denen ich voller Dankbarkeit zusehe. Und ich spreche ein stummes Dankgebet für Bibliotheken und Bibliothekare. Wenn ich den Scheck tatsächlich bekomme, spende ich vielleicht eine kleine Summe der Bibliothek in unserem Viertel.
Und es funktioniert. Er kauft es uns ab. Ich bin zufrieden, ja mehr noch: Mir kribbelt bei diesem Wettstreit vor Aufregung die Haut, jeder Sinn ist hellwach. Manchmal trete ich einen Schritt zurück und beobachte Daniel dabei, wie er Greta und Julius zusieht, vor Konzentration die Stirn runzelt und sinnvolle Fragen stellt, und ich wundere mich bei jeder einzelnen. Als würde ich mit meinem Vater Schach spielen. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Die Pausen dazwischen überbrückt Julius mit wenig bekannten Details aus der Welt der Biologie, die er aus irgendwelchen Lehrbüchern hat.
»Mr Daniel, wussten Sie, dass Biologen ihre Arbeit nicht als Ausgrabung bezeichnen? Das ist ein verbreiteter Irrtum, seit archäologische Begriffe in die Populärkultur vorgedrungen sind. Weder lebende Tiere noch Fossilien werden an einer einzigen, überschaubaren Stelle gefunden, anders als bei einem verschütteten kleinen Dorf, das man absperren und freilegen kann. Sie haben sich entweder über weite Strecken frei bewegt oder liegen in einer bestimmten geologischen Schicht und sind über mehrere Kilometer verteilt zu finden«, erklärt er.
»Wirklich, Joshua?«, fragt Daniel. Er ist unendlich nett, irritierend freundlich und nur einen Hauch sarkastisch. Wirklich, Joshua könnte bedeuten, dass er ehrlich interessiert ist, dass er anderer Meinung ist oder merkt, dass Julius halbgaren Mist erzählt. Oder er könnte in Gedanken ganz woanders sein. Ich versuche, jede Möglichkeit an seinem Gesichtsausdruck zu prüfen, ohne ihn zu auffällig zu beobachten. Aber trotz meiner jahrelangen Ãbung darin, in Gesichtern zu lesen, komme ich zu keinem Schluss.
Gegen Mittag machen wir Rast, um einen Happen zu essen, und als wir im Schatten einer Baumgruppe sitzen, fragt er mich, wie wir das Geld ausgeben würden. Sein Geld. Ich lächle, und mir schieÃt der Gedanke durch den Kopf, ihm die Wahrheit zu sagen: ein paar neue Möbel anschaffen, die Regenrinnen reparieren, etwas zurücklegen, damit mein Vater und Ruby, Ava und Syd ein sorgenfreies Alter haben. Stattdessen lächle ich ihn beseelt an, als würde ich durch ein strahlendes Tor einen Blick auf den Himmel erhaschen, und gebe ihm die Antwort, die ich auswendig gelernt habe. Ich erzähle ihm von der Armee
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