Die schottische Braut
Callie es vorzog, hier bei ihm zu stehen, wo sie doch bei ihrem Bruder und Simon sein konnte. Besonders wenn man in
Betracht zog, wie er sie heute Morgen behandelt hatte. »Warum seid Ihr so nett zu mir?«
Bei diesen Worten verhielt Callie mitten in der Bewegung. »Ihr sagt das, als wäre es etwas völlig Ungewöhnliches, freundlich zu sein.«
»Das ist es. Falls Ihr es nicht in London schon bemerkt habt, weichen die meisten Menschen allein schon meinem Blick aus.«
Darüber dachte sie kurz nach. »Ich glaube, Euer finsterer Blick macht ihnen Angst.«
»Ich gucke nicht finster.«
»Da muss ich Euch widersprechen. Ihr tut das sogar ausgesprochen furchterregend.«
»Und warum seid Ihr dann davon völlig unbeeindruckt?«
»Ich habe keine Ahnung. Mein Vater hat früher immer gesagt, ich hätte mehr Mut als zehn Männer.«
»Da hatte er wohl Recht.«
Sie lächelte, was die seltsamste Wirkung auf seine Atmung hatte und das Blut in seine Lenden schießen ließ.
Sie wedelte mit ihrer Hand zwischen ihnen hin und her. »Ich möchte nur kurz darauf aufmerksam machen, dass wir gerade jetzt ein Gespräch führen. Das ist doch gar nicht so schwer, oder? Denkt Ihr, wir können das auf den Rest des Tages ausdehnen?«
Da musste er nun doch lächeln. »Ich wollte zu Euch nicht grob sein heute Morgen. Ich rede nur einfach nicht, wenn ich auf Reisen bin.«
»Gut, dann werde ich Euch verzeihen. Aber nur so lange, wie Ihr Euch in Zukunft Mühe gebt, mich nicht zu ignorieren.«
»Ich werde es versuchen.«
Sin beobachtete schweren Herzens, wie sie sich entfernte. Sie war wunderschön, und damit meinte er nicht ihr Äußeres . Ihre Schönheit reichte bis in die Seele und strahlte von innen. So etwas hatte er nie für möglich gehalten.
In diesem Moment sehnte er sich schmerzlich nach ihr. Sehnte sich danach, ein Mann wie Simon zu sein.
Wenn er selbst doch nur ehrenhafter und anständiger wäre ...
Er biss die Zähne zusammen. Er war, wer und was er war, und es gab keinen Weg, daran etwas zu ändern.
Mit einem bedauernden Seufzen wandte er sich wieder seinem Pferd zu.
Als sie am nächsten Tag Ravenswood erreichten, sehnte sich Callie nach einer Nacht guten, ungestörten Schlafes. Die Herberge, in der sie am Vortag übernachtet hatten, war überfüllt und kalt gewesen, der Wirt übellaunig und unfreundlich.
An Schlaf war kaum zu denken gewesen, da Jamie ihr immer wieder seine knochigen Ellbogen in die Seite gebohrt hatte, während sie sich den Kopf darüber zerbrach, wo ihr Gemahl wohl schlief.
Heute Nacht aber würde es genug Platz geben, dass Jamie sein eigenes Bett bekam und ihr Gemahl ihr nicht länger ausweichen konnte. Aye, sie würde ihn an ihrer Seite behalten, selbst wenn sie ihn an sich fesseln musste.
Simon war immer unruhiger geworden, je näher sie Ravenswood kamen, und sobald die massigen Burgmauern in Sicht kamen, trieb er sein Pferd an und galoppierte in vollem Lauf den Hügel hinab und zur Zugbrücke.
»Er ist wohl aufgeregt«, bemerkte sie zu Sin.
»Aye. Er und sein Bruder standen sich immer schon nahe. Fast so wie Ihr und Jamie.«
Sie schaute zu Jamie, der, geborgen in Sins Armen, schlief. Jamie war vor etwa einer Stunde so müde geworden, dass Sin befürchtet hatte, er würde vom Pferd fallen. Sin hatte angehalten und Jamie vor sich in den Sattel gehoben, damit der Junge in Ruhe schlafen konnte.
Wenn er schlief, glich Jamies Gesicht dem eines Engels, und ihr entging nicht, wie behutsam Sin ihn hielt. Für einen Mann, der angeblich keine Kinder wollte, war er ungewöhnlich freundlich und gütig.
Als sie in die gepflegte und vorbildlich in Schuss gehaltene Burganlage einritten, stand Simon neben einem gut aussehenden, hoch gewachsenen Mann mit dunklen Haaren und einer blonden Frau mit derart geschwollenem Leib, dass es aussah, als würde sie jeden Augenblick ihr Kind auf die Welt bringen. Der Mann hatte ein Kleinkind auf dem Arm und sah ihnen voller Zuneigung entgegen.
Das musste Draven of Ravenswood sein.
»Sin«, begrüßte er sie mit einem Anflug von Zurückhaltung. »Es ist lange her.«
Sin zügelte sein Pferd, sodass es knapp vor den dreien zum Stehen kam. Ein gequälter Ausdruck flog über Sins Züge, als er sich auf dem sonnigen Burghof umschaute, auf dem Bedienstete geschäftig ihren Aufgaben nachgingen.
In seinen dunklen Augen stand ein Schmerz, den der Mann vor ihm offensichtlich teilte.
»Aye, Draven«, erwiderte Sin schließlich ruhig, »das ist es. Du siehst gut aus. Meinen
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