Die Schuld
rechten das Weinglas hielt. »Entschuldigen Sie«, sagte er zu Clay.
Bei dem Gespräch ging es um Dyloft. Es war ein Kollege, jemand aus Texas, offenbar ein alter Freund, der schneller sprechen konnte als Patton French. Sie tauschten höfliches Geplänkel aus, doch French war offensichtlich auf der Hut. Nachdem er die Verbindung unterbrochen hatte, sagte er: »Verdammt!«
»Ein Konkurrent?«
»Ein ziemlich ernst zu nehmender Konkurrent. Heißt Vic Brennan, ein großer Fisch in Houston, sehr clever, sehr aggressiv. Ist ebenfalls hinter Dyloft her. Er will die Spielregeln wissen.«
»Sie werden ihm aber nichts abgeben.«
»Das weiß er auch. Morgen startet seine Werbekampagne. Radio, Fernsehen, Presse. Er wird wohl ein paar tausend Fälle abzweigen.« French ließ sich von einem Schluck Wein trösten der ein Lächeln über sein Gesicht huschen ließ. »Das Rennen ist eröffnet, Mr Carter. Wir müssen diese Fälle haben.«
»Das Rennen wird schon morgen noch schneller«, meinte Clay. French hatte den Mund voll Pinot Noir und konnte nichts sagen, doch stand ihm förmlich ein Fragezeichen auf der Stirn.
»Morgen früh erscheint ein großer Artikel in der New York Times. Der erste kritische Bericht über Dyloft, meiner Quelle zufolge.«
Was das Essen anging, hätte Clay nichts Unpassenderes sagen können. French vergaß sein Kalbfleisch, das noch in der Küche war. Und er vergaß die teuren Weine, die den Tisch bedeckten was ihn indes nicht daran hinderte, innerhalb der folgenden drei Stunden alle Flaschen zu leeren. Doch welcher Anwalt im Schadenersatzgeschäft konnte sich schon auf Wein und Essen konzentrieren, wenn in wenigen Stunden die New York Times den zukünftigen Beklagten mitsamt seinem gefährlichen Arzneimittel an den Pranger stellen würde?
Das Telefon klingelte. Dabei war es draußen noch dunkel. Als Clay schließlich in der Lage war, auf die Uhr zu sehen, zeigte sie Viertel vor sechs an. »Aufstehen!«, polterte French ihm ins Ohr. »Und machen Sie die Tür auf!« Clay hatte kaum geöffnet, da stieß French die Tür bereits auf und marschierte, mit der Zeitung und einer Tasse Kaffee bewaffnet, herein.
»Unglaublich!«, sagte er und schleuderte die New York Times auf Clays Bett. »Sie können doch nicht den ganzen Tag verpennen, Junge. Lesen Sie das!« Er trug den weißen Frotteemantel und die Badeschlappen, die den Gästen vom Hotel zur Verfügung gestellt wurden.
»Es ist noch nicht mal sechs Uhr.«
»Ich habe seit dreißig Jahren nicht mehr länger geschlafen als bis fünf. Da draußen warten viel zu viele Klagen.«
Clay trug nur seine Boxershorts. French trank Kaffee und las den Artikel noch einmal, wobei er angestrengt durch seine Lesebrille blickte, die auf der Spitze seiner platten Nase saß.
Er zeigte keinerlei Anzeichen eines Katers. Clay hatten die Weine irgendwann angeödet, da sie für ihn ohnehin alle gleich schmeckten, und er hatte den Abend mit Mineralwasser beendet. French dagegen hatte weiter gekämpft. Obwohl er wegen Dyloft nicht mit dem Herzen bei der Sache gewesen war, hatte er beschlossen, an diesem Abend den besten unter den fünf Burgunderweinen zu küren.
Der Artikel in der New York Times zitierte das Atlantic Journal of Medicine. Dort war berichtet worden, dass Dylofedamint, bekannt als Dyloft, bei rund sechs Prozent der Patienten, die das Medikament länger als ein Jahr eingenommen hätten, möglicherweise Tumore in der Harnblase ausgelöst habe.
»Sogar mehr als fünf Prozent«, sagte Clay beim Lesen. »Ist das nicht wunderbar?«, freute sich French.
»Nur sofern Sie nicht zu den sechs Prozent gehören.«
»Tu ich nicht.«
Einige Ärzte verschrieben das Medikament bereits nicht mehr. Ackerman Labs brachte ein ziemlich laues Dementi und schob wie immer alle Schuld auf die habgierigen Anwälte. Gleichwohl entstand der Eindruck, als zöge sich das Unternehmen in die Defensive zurück. Von der FDA kam keinerlei Kommentar. Ein Arzt aus Chicago ließ sich eine halbe Spalte lang darüber aus, wie fantastisch das Medikament wirke und wie glücklich seine Patienten damit seien. Die gute Nachricht wenn man so sagen konnte - war, dass die Tumore offenbar nicht bösartig waren, bislang zumindest. Beim Lesen beschlich Clay das Gefühl, dass Max Pace das alles schon vor einem Monat geahnt hatte.
Nur in einem kurzen Absatz wurde berichtet, dass am Montag in Washington Klage eingereicht worden war. Der junge Anwalt, der die Klage führte, blieb unerwähnt.
Die
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