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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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ihr Mann damit beschäftigt war, sich Kaffee einzuschenken, griff ich nach einem der Schlüsselbunde.
    »Hätten Sie auch gern noch eine Tasse Kaffee, Dr. Courtine?« fragte Dr. Locard.
    Ich wandte mich meinen Gastgebern zu: »Vielen Dank, aber lieber nicht. Es war ein sehr angenehmer Abend, aber es ist spät, und ich kann mir vorstellen, daß Sie morgen früh viel zu tun haben. Ich selbst habe eine lange Reise vor mir.«
    »Bitte kommen Sie morgen vor Ihrer Abreise noch einmal zu mir«, bat Dr. Locard. »Ihre Entscheidung interessiert mich sehr. Ich werde den ganzen Vormittag ab etwa halb neun in der Bibliothek sein. Ich möchte mich noch ein bißchen mit unserem Manuskript beschäftigen.«
    »Man wird sicher noch vieles daraus erfahren können.«
    Er lächelte. »Ich hoffe, daß wir morgen alles Nötige für die Veröffentlichung besprechen können.«
    Ich neigte wortlos den Kopf.
    »Auf Wiedersehen, Dr. Courtine«, sagte Mrs. Locard.
    »Ich danke Ihnen sehr für diesen Abend«, erwiderte ich.
    Als sie meine Hand nahm, meinte sie lächelnd: »Ich nehme nicht an, daß Sie in nächster Zeit noch einmal nach Thurchester kommen werden, Dr. Courtine.«
    »Da es ja nun zu keiner Gerichtsverhandlung kommen wird, halte ich das für sehr unwahrscheinlich. Aber ich hoffe, daß ich eines Tages die Freude haben werde, Sie und Dr. Locard in Cambridge begrüßen zu dürfen.«
    »Ich würde Sie sehr gerne besuchen. Robert fährt gelegentlich nach Cambridge, und vielleicht kann ich ihn dazu überreden, mich mitzunehmen.«
    »Ich werde Sie hinausbegleiten, Dr. Courtine«, sagte ihr Mann.
    Als er in die Eingangshalle vorausging, flüsterte sie mir zu: »Ich hoffe so sehr, daß alles für Sie gut ausgeht.«
    »Unser Gespräch hat mir sehr geholfen«, antwortete ich. »Ich werde es nie vergessen.«
    An der Eingangstür ergriff Dr. Locard meine Hand und hielt sie fest. »Ich brenne darauf zu erfahren, wie Sie sich entschieden haben.«
    »Sie werden es morgen auf alle Fälle auf die eine oder andere Weise erfahren.«
    Er ließ meine Hand los, und ich schritt in die Dunkelheit des Domplatzes hinaus.

Freitag nacht
     
    Nun hatte Fickling seinen Posten also doch verloren. Ich hatte nicht einmal ein Gefühl des Triumphes, obwohl dies eine Folge meines Eingreifens war. Außerdem war es sehr wahrscheinlich, daß es ihm an Geld nicht mangeln würde. Seltsamerweise lag die Entscheidung darüber ebenfalls in meiner Hand. Ich brauchte mich für das, was ihm widerfahren war, nicht schuldig zu fühlen, denn ich hatte endlich durchschaut, daß er mich nur deshalb mit der Aussicht auf eine Versöhnung hierhergelockt hatte, weil er mich benutzen wollte. Er hatte nur nicht erwartet, daß ich Dr. Locard kennenlernen und etwas von den Vorgängen im Domkapitel erfahren würde, weil er davon ausgegangen war, daß ich meine Zeit in der Niederung von Woodbury verbringen würde.
    Mrs. Locards Worte gingen mir nicht aus dem Kopf. Mir war schon ein paarmal der Gedanke gekommen, daß ich wieder heiraten könnte, wenn ich frei wäre, und ich hatte mehrfach an die Witwe eines Kollegen gedacht, eine Frau, die zehn oder fünfzehn Jahre jünger war als ich. Ihr Mann war vor einem Jahr gestorben und hatte sie mit zwei kleinen Kindern zurückgelassen. Sie war freundlich und sanftmütig, und ich glaubte, daß sie mich auch gern hatte. Bei meinen Einkünften würde es allerdings schwierig werden, eine solche Verantwortung zu übernehmen. Mit dem Gehalt eines Professors dagegen wäre es natürlich kein Problem, aber ich wußte, daß ich nicht die geringste Aussicht auf den Lehrstuhl hatte, falls das Manuskript Scuttard zur Veröffentlichung überlassen würde. Dr. Locard würde sicher Mittel und Wege finden, zu verhindern, daß mein Verdienst, es gefunden zu haben, anerkannt würde.
    Ich machte neben dem alten Torhaus halt, genau an der Stelle, wo die Gartenmauer hinter dem Haus von Gambrill gewesen sein mußte. Ich sah die große schwarze Gestalt des Schatzmeisters Burgoyne vor mir, wie er vor mehr als zwei Jahrhunderten Nacht für Nacht dort gestanden und über das »geheime Verbrechen« nachgebrütet hatte, das schließlich zu seinem Tod geführt hatte. Jetzt wußte ich, daß er nicht den Steinmetzen gemeint hatte. Es war nicht der Mord an Robert Limbrick, den aufzudecken er gedroht hatte – falls er überhaupt davon gewußt hatte. Nein, es war eine finstere, schändliche Missetat, die er selbst begangen hatte oder begehen wollte, und er kämpfte mit sich um den Mut,

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