Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
Verzweiflung. Alles würde er tun, um diesen Herzschlag lebendig zu erhalten. »Jaenelle, bitte! Der Priester ... Der Priester würde dich bei
sich leben lassen, nicht wahr? Ich meine, du müsstest nicht im Dunklen Reich leben. Er würde dir eine Unterkunft suchen, so wie er es für Tersa getan hat, nicht wahr? Jaenelle ... mein Schatz ... du kannst hier nicht länger bleiben.«
»Ich muss aber, Daemon«, erwiderte Jaenelle sanft. Sie fuhr ihm mit den Fingern über den Kopf und streichelte sein Haar.
»Warum?«, rief Daemon. Er hob den Kopf, verzweifeltes Flehen in den Augen. »Ich weiß, dass du deine Familie liebst ...«
»Familie?« Jaenelle stieß ein leises, bitteres Lachen aus. »Meine Familie lebt in der Hölle, Prinz.«
»Warum gehst du dann nicht? Wenn du denkst, der Priester würde dich nicht aufnehmen, dann geh wenigstens zu Cassandra. Eine heilige Stätte bietet zumindest einen gewissen Schutz.«
»Nein.«
» Warum? «
Gequält wich Jaenelle vor ihm zurück. »Saetan hat mich gebeten, bei ihm zu wohnen, und ich habe ihm versprochen, dass ich es tun würde, aber noch geht es nicht.«
Daemon ließ sich zurück auf seine Fersen sinken. Dies war brutal und im Grunde war es Erpressung, doch sie ließ ihm keine andere Wahl. »Ich weiß über Briarwood Bescheid.«
Jaenelle erschauderte. »Dann weißt du, weshalb ich noch nicht fort kann.«
Er packte sie und schüttelte sie mit Gewalt. »Nein, ich weiß nicht, weshalb! Wenn ich ihm davon erzähle ...«
Mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen blickte sie ihn an. »Bitte sag ihm nichts, Daemon«, flüsterte sie. »Bitte.«
»Warum nicht?«, fuhr er sie an. »Er wird sich nicht von dir abwenden wegen der Dinge, die geschehen sind. Meinst du wirklich, er würde aufhören, dich zu lieben, wenn er es herausfindet?«
»Vielleicht.«
Verblüfft lehnte Daemon sich zurück. Für ihn machte das Wissen nur den einen Unterschied, dass er Jaenelle noch mehr beschützen wollte. Also war er davon ausgegangen, dass Saetan genauso empfinden würde. Würde es einen Unterschied machen?
»Daemon«, flehte Jaenelle, »wenn er herausfindet, dass ich ... krank ... war, wenn er mich nicht länger für gut genug hält, um in der Kunst unterrichtet zu werden ...«
»Was meinst du mit krank ?« Doch er wusste es. Eine Klinik für unausgeglichene Kinder. Ein Kind, das Geschichten über Einhörner und Drachen erzählte, das Freunde besuchte, die niemand sonst zu Gesicht bekam, weil sie irgendwo existierten, bloß nicht in Terreille. Ein Kind, dessen Sinn für die Realität in Briarwood so viele Jahre lang verzerrt worden war, bis es nicht mehr wusste, was es glauben und wem es vertrauen konnte.
Daemon hielt sie fest umarmt und strich ihr über das Haar. Er konnte ihre Tränen an seinem Hals spüren und sein Herz blutete. Sie war nur zwölf. Bei all ihrer Kunst, bei all ihrer Magie und Stärke war sie nur zwölf Jahre alt. Sie glaubte all die Lügen, die man ihr aufgetischt hatte. Obgleich sie dagegen ankämpfte und versuchte, die Worte anzuzweifeln, die man ihr so viele Jahre lang eingetrichtert hatte, glaubte sie die Lügen. Und weil sie daran glaubte, hatte sie größere Angst davor, den Mentor und Freund zu verlieren als ihr eigenes Leben.
Er küsste sie auf die Wange. »Wenn ich verspreche, ihm nichts zu sagen, versprichst du mir dann, zu ihm zu gehen – und nicht zurückzukehren?«
»Ich kann nicht«, flüsterte Jaenelle.
»Warum?«, wollte Daemon ärgerlich wissen. Langsam verlor er die Geduld. Sie vergeudeten wertvolle Zeit.
Jaenelle lehnte sich zurück und betrachtete ihn mit ihren uralten, gequälten Augen. »Wilhelmina«, meinte sie matt. »Wilhelmina ist stark, Daemon, stärker als sie denkt, stark genug, um Saphir zu tragen, wenn sie nicht zerbrochen
wird. Ich muss ihr helfen, bis sie ihr Opfer darbringt. Dann wird sie stärker als die meisten Männer hier sein und sie werden sie nicht brechen können. Dann gehe ich und lebe beim Priester.«
Daemon wandte den Blick ab. Es würde mindestens noch vier Jahre dauern, bis Wilhelmina ihr Opfer darbringen konnte. Wenn Jaenelle in Beldon Mor blieb, war sie bis dahin längst tot.
Heftiges Klopfen an der Tür ließ beide zusammenschrecken. Eine Frau rief: »Alles in Ordnung da drin, Fräulein? Beeil dich gefälligst, die Mädchen suchen sich gerade Tanzpartner aus.«
Langsam erhob Daemon sich. Er fühlte sich alt und erschöpft. Doch wenn es ihm gelänge, sie bis zum morgigen Tag zu beschützen, hätte Saetan
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