Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
immer noch in der Lage, sich diesem Vergnügen hinzugeben. Ein Hüter … dem die Ehre über alles ging. Oh, sollte er ruhig versuchen, den Skandal und die Missbilligung zu ignorieren! Wenn sie mit ihm fertig war,
würde ein solcher Feuersturm über ihn hereinbrechen, dass selbst seine treuesten Diener ihn hassen würden.
Doch diese Sache musste sie behutsam angehen, damit Saetan sie nicht – wie jenen Narren Menzar – bis zu ihr zurückverfolgen konnte.
Hekatah betrachtete Greer. Der zerfetzte Unterarmmuskel ließ sich mithilfe eines Mantels verdecken, aber dieser Fuß … Ob man ihn entfernte und mit einer Prothese ersetzte oder das Bein in einem hohen Stiefel versteckte: Der hinkende Gang würde sofort ins Auge springen – wie seine deformierten Hände. Zu schade, dass ausgerechnet ein derart nützlicher Diener körperlich entstellt und von daher viel zu auffällig sein musste. Dennoch es war ihm gelungen, diesen letzten Auftrag zu erfüllen. Ja, seine Verstümmelungen würden sich letzten Endes vielleicht sogar zu ihren Gunsten auswirken.
Sie gestattete sich ein flüchtiges Lächeln, bevor sie ihre traurigste Miene aufsetzte und sich neben Greers Sessel zu Boden sinken ließ. »Mein armer Liebling«, gurrte sie und streichelte mit den Fingerspitzen über seine Wange. »Ich habe mich durch die Intrigen dieses Bastards von viel wichtigeren Sorgen ablenken lassen.«
»Von welchen Sorgen, Priesterin?«, fragte Greer misstrauisch.
»Von dir, Liebling und den grässlichen Wunden, die dir dieses Untier zugefügt hat.« Sie wischte sich über die Augen, als könnten sie immer noch Tränen hervorbringen. »Du weißt, dass es jetzt keine Möglichkeit gibt, diese Wunden zu heilen, nicht wahr, Liebling?«
Greer wandte den Blick ab.
Hekatah beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Aber mach dir keine Sorgen. Ich habe einen Plan, um Saetan alles heimzuzahlen.«
»Du wolltest mich sprechen, Höllenfürst?«
In Saetans Augen lag ein Glitzern. Er lehnte an dem Ebenholzschreibtisch in seinem privaten Arbeitszimmer im Dunklen
Reich und bedachte die Harpyie der Dea al Mon mit einem Lächeln. »Titian, meine Liebe.« Sein schmeichelnder Tonfall klang wie leises Donnern. »Ich habe einen Auftrag für dich, der, wie ich glaube, ganz nach deinem Geschmack sein wird.«
Kapitel 6
1Kaeleer
W ie der Rest der Familie trödelte Saetan bei Tisch, weil er nicht wollte, dass dieses Abendessen und das warme und vertraute Gefühl, sich im Kreis seiner Angehörigen zu befinden, zu Ende gingen.
Zumindest hatte jene unangenehme Nacht letzte Woche ein Gutes gehabt: Jaenelles Alptraum hatte jene unterdrückten Erinnerungen einen kurzen Moment an die Oberfläche geholt und ihre Seelenqualen durch den Ausbruch ein wenig gelindert. Er wusste, dass die Wunde in ihrem Inneren nicht verheilt war, doch zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr aus dem Abgrund war Jaenelle wieder mehr das Kind, das sie alle einst gekannt hatten, als die von schrecklichen Erlebnissen heimgesuchte junge Frau, zu der sie geworden war.
»Ich glaube, Beale würde gerne die Tafel abräumen«, flüsterte Jaenelle mit einem Blick auf den Butler, der an der Tür des Esszimmers stand.
»Warum nehmen wir dann nicht unseren Kaffee im Salon ein?«, schlug Saetan vor, indem er seinen Stuhl zurückschob.
Während Jaenelle, gefolgt von Mephis, Andulvar und Prothvar, auf die Tür zuschritt, verweilte er noch ein wenig am Tisch. Es tat so gut, sie lachen zu hören, so gut …
Eine Bewegung am Fenster erregte seine Aufmerksamkeit. Sofort tastete er die Umgebung nach dem Eindringling ab, wich jedoch einen Schritt zurück, als wilde Emotionen von einer eigenartig fremden Signatur gegen seinen Geist stießen und ihn herausforderten, eine Berührung zu wagen.
Zorn. Frustration. Angst. Und dann …
Das Geheul ließ sämtliche Unterhaltungen mitten im Satz
verstummen. Andulvar und Prothvar wirbelten herum, die Jagdmesser gezückt. Saetan nahm die beiden kaum wahr, da er zu gespannt war, wie Jaenelle reagieren würde.
Sie holte mit geschlossenen Augen tief Luft, legte den Kopf in den Nacken und stieß ein Heulen aus. Es war keine exakte Nachahmung des Wolfsgeheuls. Ihre Laute waren gespenstischer und wurden alsbald zu Hexengesang. Ein wildes Lied.
Ein Schauder überlief Saetan, als er verblüfft erkannte, dass sie und der Wolf dieses Lied schon zuvor gesungen hatten, dass sie wussten, wie sich ihre beiden Stimmen miteinander verflechten mussten, um etwas Fremdes und
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