Die schwarzen Juwelen 07 - Blutskönigin
wurde verletzt.«
Der Eyrier trat einen Schritt auf ihn zu. »Das oberste Gesetz ist nicht Gehorsam. Das oberste Gesetz ist zu ehren, zu schätzen und zu beschützen. Das zweite ist, zu dienen. Das dritte ist, zu gehorchen.«
»Aber wenn man nicht gehorcht, wird man bestraft.« Der Eyrier musterte ihn. »Alles hat seinen Preis. Wenn du eine Königin herausforderst, selbst wenn es geschieht, um sie zu schützen, gehst du das Risiko ein, bestraft, sogar getötet zu werden. Doch du akzeptierst dieses Risiko und tust, was du tun musst. Wenn die Königin deine Loyalität wirklich verdient hat, wird sie die Gründe für die Herausforderung verstehen und nachgeben. Das heißt nicht, dass sie es gerne tut oder glücklich ist mit dem, was der Mann tut, aber sie wird nachgeben.«
»Sie hat allen gesagt, dass sie sie in Ruhe lassen sollen.« Es hatte so wehgetan, sie zu beobachten, zu wissen, dass sie verletzt war, und nicht in der Lage zu sein, sie aufzuhalten.
»Jemand hat ihr wehgetan, und -«
»Wer?« Gray spürte, wie sich etwas in ihm regte. »Wer hat Cassie wehgetan?«
»Ich weiß es nicht, und das ist auch für alle gesünder«, sagte der Eyrier. »Aber ich weiß, dass sie schon gelitten hat, bevor sie in den Garten gegangen ist, und sie hat versucht, einen Teil des Schmerzes und der Wut auszuschwitzen. Ihr Erster Begleiter hätte sie eine Stunde lang gewähren lassen müssen; dann hätte er das Protokoll nutzen müssen, um sie aufzuhalten. Und wenn das nicht funktioniert hätte, hätte er sie bis zum Letzten bekämpfen müssen.«
Gray runzelte die Stirn. »Das Protokoll? Aber das sind doch nur Worte.«
»Stimmt. Und ein Satz mit den richtigen Worten hätte das Ganze beenden können.«
Er hatte Cassies Hände kurz gesehen. Ein Satz hätte das beenden können?
Der Eyrier gab ein Geräusch von sich. Wut? Ekel? »Dieser Hof soll die Alten Traditionen kennenlernen. Ich weiß, dass Lady Cassidy Bücher über das Protokoll mitgebracht hat. Hat denn keiner von euch da mal reingesehen?«
»Ich weiß es nicht.« Gray rieb sich mit dem Handrücken über die Nase. »Wenn ich diesen Satz gesagt hätte, dann hätte sie aufgehört, bevor sie verletzt war?«
Die Art, wie der Eyrier ihn ansah, weckte in Gray die Frage, was der Mann wohl sah.
»Eine Königin mag es nicht, wenn ein Mann sich auf die Hinterbeine stellt und bereit ist, sie wegen etwas zu bekämpfen. Wenn du also das Protokoll dazu benutzt, sie aufzuhalten, wird sie dich beschimpfen. Derbe beschimpfen.«
»Das ist alles? Sie wird mich beschimpfen?« Das wäre nicht sonderlich angenehm, aber es klang nicht allzu schlimm. »Wird sie mich schlagen?«
»Das hängt von der Frau ab. Ich habe schon mehr als einen Knuff in den Arm bekommen, weil ich eine Hexe gereizt habe, die vor sich selbst beschützt werden musste.« Der Eyrier zuckte mit den Schultern. »Ich kann mit einem gequetschten Muskel wesentlich besser leben als damit, zusehen zu müssen, wie jemand, der mir wichtig ist, verletzt wird.«
Wenn er das Protokoll lernte, dann …
Gray sah sich um, und ihm wurde bewusst, wo er sich befand. Er war so darauf konzentriert gewesen, den Eyrier einzuholen und ihn anzuschreien, weil er Cassie mit Wasser übergossen hatte, dass er nicht aufgepasst hatte.
»Dir wird nichts passieren«, sagte der Eyrier, »denn hier gibt es nichts, das an mir vorbeikäme.«
Er wusste es. Irgendwie wusste dieser Fremde es. »Wer bist du?«, flüsterte Gray. Er wollte sich zusammenrollen und verstecken, wollte weglaufen.
»Lucivar. Und du?«
»Gray.« Die Anstrengung, stehen zu bleiben und nicht wegzulaufen, sich zu verstecken, die alte Angst herauszuschreien, bis er keine Stimme mehr hatte, ließ ihn am ganzen Körper zittern.
Die andere Königin hatte nie aufgehört, ihm Schmerzen zuzufügen, bis er keine Stimme mehr gehabt hatte.
»Ich bin nicht … ganz«, sagte Gray. Deshalb konnte er nicht am Hof dienen. Talon und Theran hatten ihm das beide gesagt. Nicht, dass er am Hof hatte dienen wollen. Zumindest nicht, bis er Cassie begegnet war.
»Nein, das bist du nicht«, sagte Lucivar leise. »Du hast Narben, Gray, tiefe Narben. Ich kann sie in dir spüren. Wenn ein Mann solche Narben hat, gibt es Grenzen, die er nicht überschreiten kann, Grenzen, die er ziehen muss, um sich selbst zu schützen. Aber diese Grenzen sind nicht so eng, wie du vielleicht glaubst, und ein Mann kann selbst entscheiden, ob er in Sicherheit leben möchte oder ob er direkt an diesen Grenzen leben will.
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