Die schweigenden Kanäle
wieder. »Sie widerlicher Teufel!« Er ließ die Hände vom Gesicht fallen und starrte Cravelli an. »Wo haben Sie diese beiden Unglücklichen her?«
»Gekauft –«
»Ge …« in Berwaldt sprang Entsetzen hoch. Cravelli winkte ab und schob ihm ein Kognakglas hin.
»Es ist alles legal, Dottore. Ich habe erst mit allen Kliniken in der Umgebung telefoniert, um Namen zu bekommen von unheilbaren Krebsfällen! Sie machen es nämlich auch hier nicht anders wie in den anderen Kliniken der Welt: Die unheilbaren Fälle, die sogenannten ›Pflegefälle‹, werden nach Hause geschickt, denn sterben können sie auch dort, und außerdem belasten sie nicht die Statistik der Klinik. Ich kenne eine Reihe Ärzte, und sie haben mir Adressen von solchen aufgegebenen Fällen gegeben. Vor allem in Chioggia, arme Fischersfrauen, die nie das Geld haben, sich eine teure Privatklinik zu leisten. Da bin ich hingefahren und habe den Männern ihre Frauen abgekauft für 100.000 Lire! Pro Frau! Und ich habe versprochen, sie gesund wiederzubringen. Sie sollen nur für 100.000 Lire den Mund halten. Das ist alles, Dottore! Meinen Erfolg sehen Sie! Die Frauen sind da … und ich bin mir sicher, daß ich die 200.000 Lire gut investiert habe –«
»Ein Irrer sind Sie!« schrie Dr. Berwaldt und sprang auf. »Sie haben nicht nur Patrickson und Dacore, sondern jetzt auch diese beiden Frauen auf dem Gewissen! Ich kann sie nicht behandeln –«
»Aber Dottore – nur Sie können es.«
»Ich habe kein Serum mehr!«
»Dann stellen wir es her! Unten ist ein voll eingerichtetes Labor … besser als Ihr eigenes in Berlin!«
Cravelli lächelte gemütlich. Er schlug die Beine übereinander und trank mit Genuß seinen Kognak. Dr. Berwaldt schloß die Augen. Die Falle war zugeklappt, das große Ereignis, dem er nicht mehr entrinnen konnte, war eingetreten. Er erkannte, wie teuflisch und dazu genial der Gedanke Cravellis war: Nebenan lagen zwei sterbende Frauen, die er mit seinem Serum retten konnte. Das bedeutete, daß er die Formeln in das Haus Cravellis bringen mußte, daß er das Serum neu herstellen mußte, daß er sich völlig in die Hand der internationalen Gruppe gab, deren Haupt Cravelli war. Tat er es nicht, so wurde er zum Mörder der beiden Frauen …
Cravelli sprach es aus, was Berwaldt dachte.
»Sie haben doch diesen Eid des Hippokrates geleistet, Dottore. Jedem Kranken helfen, ganz gleich, wer es ist … wo er ist … Ihr ganzes moralisches Korsett ist doch diese ärztliche Ethik … bitte, jetzt können Sie es beweisen!«
»Ich tue es nicht!« schrie Berwaldt.
»Sie nehmen damit 12 Kindern die Mütter –«
»Aber ich rette die Menschheit vor einer Sklaverei, in die sie fällt, wenn Sie meine Entdeckung in das Gegenteil umkehren! Dafür opfere ich lieber zwei Menschen!«
Cravelli sah Berwaldt nachdenklich an. »Das glaube ich Ihnen nicht … Sie sind Arzt! Sie werden hier oben mit diesen beiden Sterbenden leben müssen … so oder so … Sie werden ihre Todesschreie hören, wenn Sie ihnen nicht helfen. Das werden Sie nie vergessen! Und auch wenn Sie sich selbst töten … diese Schuld nimmt Ihnen niemand ab!«
»Gehen Sie …«, stöhnte Berwaldt und lehnte das Gesicht gegen die Wand. »Gehen Sie, Sie Schwein –«
Cravelli antwortete nicht. Er erhob sich, steckte sein schmutziges Kognakglas in die Tasche und verließ das Zimmer. Berwaldt hörte, wie entfernt mehrmals einige Türen abgeschlossen wurden. Er war allein mit zwei sterbenden Krebskranken.
Eine ganze Weile stand er mit dem Gesicht gegen die Wand und wünschte sich, die nächsten Stunden nicht mehr zu erleben. Das Grauenvolle war nicht mehr zu umgehen. Nebenan lagen zwei arme, von allen Ärzten aufgegebene Frauen und glaubten an ihn. Er war ihre letzte Hoffnung …
Dr. Berwaldt schloß die Augen. Und plötzlich weinte er, die Stirn gegen die Wand gedrückt. Alles, was an Erregung in ihm war, an Anspannung, an Angst und Grauen löste sich auf in einem Weinkrampf … als er nach einer halben Stunde sich wusch und langsam eine Zigarette rauchte, war er wieder von einer kämpferischen Nüchternheit und durchdrungen von einem klaren Verstand.
Er ging nebenan in den Behandlungsraum, zog einen weißen Kittel über, holte aus einem Glaskasten das neue Membranstethoskop und ein Paar dünne Gummihandschuhe. Er schrak zusammen, als auf dem Schreibtisch ein Telefon rappelte.
»Ja?« sagte er.
Die Stimme Cravellis klang jovial. »Da staunen Sie, was? Sogar per Telefon sind wir
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