Die Schwester der Braut
Innern nicht füllen.
Die junge Frau wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, schien die Uhrzeit in der rechten unteren Ecke sie mit der Information erschlagen zu wollen, dass ihr nur noch knapp vier Stunden bis zum Redaktionsschluss blieben.
»Verdammt«, bemerkte Alex und sah sich um. Irgendwo ganz hinten im Büro – Alex meinte es kam aus der Wirtschaftsredaktion – hämmerte jemand wie wild auf seiner Tastatur herum. Alex war sich fast sicher, dass es Templeton war, der alle paar Monate eine neue Tastatur bekam, weil seine Anschläge nicht mehr funktionierten. Nicht verwunderlich; eines seiner Hobbys war Geige spielen, und seine Finger waren dadurch gestählt, was seinem Geigenspiel zwar zugutekam, nicht jedoch seinen diversen Schreibgeräten.
Alex lächelte leicht, wurde schlagartig wieder ernst und starrte aus dem Fenster auf einen Himmel, der bewölkt war und grau. In Atlanta waren es warme siebenundzwanzig Grad gewesen, das Thermometer im Büro gab die Außentemperatur in Baltimore mit vierzehn Grad an. Alex seufzte erneut und sah auf die Uhr an ihrem Computer. Weitere zehn Minuten waren vergangen. Ihre Deadline rückte näher, und sie machte sich Gedanken ums Wetter. Großartig!
Alex ließ den Blick durch das Büro schweifen, bis sie jemanden bemerkte, der sie offensichtlich beobachtete – so wie es aussah, schon eine Weile. Es war ihr Boss, Gerald Henderson. Als er merkte, dass sie ihn gesehen hatte, bedeutete er ihr, in sein Büro zu kommen.
»Was nun?«, fragte sie in den Raum, der ansonsten nur durch das Tippen ihres Kollegen in der Wirtschaftsredaktion belebt wurde.
Alex trat ins Büro ihres Chefs und sah die tiefen Runzeln auf seiner Stirn. Er schien ein Problem zu haben, was bedeutete, dass sie ein Problem hatte.
»Was gibt es?«, fragte sie.
»Setz dich, Alex.«
Sie tat es.
Er sah sie aufmerksam an. »Arbeitest du gern hier?«
Alex stöhnte unterdrückt auf. Sie hasste es, wenn ihr Boss um den heißen Brei herumredete. Es hielt sie üblicherweise nur von ihrer Arbeit ab. Natürlich hielt sie im Moment alles von ihrer Arbeit ab, also war es wohl nicht so schlimm, wenn Henderson seinen eigenen Beitrag dazu leistete.
»Das wissen Sie doch, Chef«, antwortete Alex.
Er verzog das Gesicht. »Nein, das weiß ich nicht. Ich habe noch immer keinen Kommentar von dir zum heutigen Spiel – und das geschlagene vier Stunden nach dem Spiel«, betonte er.
Dieses Mal verzog Alex das Gesicht. Sonst war sie nie so spät. Manchmal verfasste sie ihren Artikel noch während sich das Stadium um sie herum leerte und war mit ihrer Arbeit fertig ehe ihre Konkurrenten von anderen Zeitungen überhaupt anfingen zu schreiben.
»Es war nicht sehr interessant«, bemerkte sie trotzig.
Er zog seine Augenbrauen hoch. Sein Gesicht hatte etwas von dem eines Vogels, wenn er das tat. Seine Nase war recht lang, und sein Gesicht wirkte fast oval, wenn er so fragend blickte. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist überarbeitet. Doch du hattest gerade letzte Woche Urlaub . . . Du hast doch hoffentlich keinen Nebenjob, von dem ich wissen sollte?«
Alex schüttelte ungeduldig ihren Kopf. »Vor einer Woche war ich auf der Hochzeit meiner Schwester. Kein Nebenjob, Boss.«
»Hm.« Henderson legte nachdenklich die Hände an die Lippen und betrachtete seine Sportkolumnistin noch ein bisschen eingehender, was Alex noch ein wenig unruhiger machte.
»Eine Hochzeit. Ältere Schwester?«
»Jünger«, entgegnete Alex.
»Du hast doch hoffentlich nicht so etwas wie Torschlusspanik, oder?«
Sie stöhnte genervt auf. »Bitte!«, stieß sie indigniert hervor.
»Alex, ich will nur wissen, was in dir vorgeht. Du bist normalerweise so engagiert, so fanatisch enthusiastisch, wenn es um Sport geht. Sonst bist du die erste, die ihre Artikel und Kommentare einreicht. Seit einer Woche habe ich ständig die Befürchtung, den Redaktionsschluss für dich verschieben zu müssen.« Henderson seufzte und hielt Alex ein Schriftstück hin.
Verwirrt schaute Alex von dem Papier auf ihren Boss. Es kam keine Erklärung, also nahm sie es ihm aus der Hand. Es war ein Kommentar zum heutigen Spiel – es war nur nicht ihr Kommentar.
»Tiger Pickens? Das Wiesel hat es auf meine Kolumne abgesehen?«, fragte sie.
Henderson nickte.
Sie hatte den selbstgewählten Spitznamen ihres Kollegen benutzt. Tiger war nicht sein richtiger Vorname, der war
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