Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Rücken zuwandte, sich die Decke um die Schultern zog, den Kopf auf das Kissen legte und still wurde. Erst dann entspannte ich mich und schlief ein. Ich hatte wieder einmal einen Abend überstanden. Ich war noch in Hever. Für die Howards ging es jetzt um alles oder nichts. Wer weiß, was der Morgen bringen würde.
Ein lautes Klopfen an der Tür weckte uns. Ich war aus dem Bett gesprungen, ehe William aufwachen und mich bei der Hand packen konnte. Ich öffnete die Tür und sagte in scharfem Ton: »Seine Lordschaft schläft«, als wäre das meine einzige Sorge und als sei ich nicht entschlossen, so schnell wie möglich aus seinem Bett zu verschwinden.
»Eine dringende Botschaft von Mistress Anne«, sagte der Diener und reichte mir einen Brief.
Ich hätte mir am liebsten einen Umhang übergeworfen und das Schreiben woanders gelesen, aber William war nun wach und saß aufrecht im Bett. »Unsere liebe Schwester«, sagte er mit spöttischem Lächeln. »Und was schreibt sie?«
Mir blieb nichts übrig, als den Brief vor seinen Augen zu öffnen und zu Gott zu hoffen, daß Anne einmal in ihrem selbstsüchtigen Leben auch an jemand anderen dachte.
Schwester,
Der König und ich möchten Dich und Deinen Ehemann einladen, uns hier in Richmond zu treffen, wo wir es uns gut gehen lassen wollen.
Anne
William streckte die Hand nach dem Brief aus. Ich reichte ihn herüber.
»Sie hat erraten, daß ich zu dir reisen würde«, bemerkte er. Ich sagte nichts. »Und eins-zwei-drei seid Ihr mich wieder los«, sagte er bitter. »Und wir sind wieder da, wo wir waren.«
Genau das hatte ich gerade gedacht, aber hinter seinen harten Worten spürte ich, wie verletzt er war. Die Hörner eines |297| betrogenen Ehemanns sind keine angenehme Last, und er trug sie nun schon fünf Jahre. Langsam ging ich zum Bett zurück und streckte meine Hand zu ihm aus. »Ich bin Eure Ehefrau«, sagte ich sanft. »Und ich habe es nie vergessen, wenn unser Lebensweg uns auch weit voneinander entfernt hat. Sollten wir jemals wirklich als Ehepaar zusammenleben, William, dann werdet Ihr merken, daß ich Euch eine gute Frau bin.«
Er schaute zu mir auf. »Spricht da eine Howard, die Angst hat, daß sich das Schicksal gegen sie wendet, und die glaubt, ein Leben als Lady Carey wäre immer noch besser, als das andere Boleyn-Mädchen zu sein, wenn das erste ins Verderben gestürzt ist?«
Er hatte so genau ins Schwarze getroffen, daß ich mich abwenden mußte, damit er mir nicht die Wahrheit aus den Augen ablas. »O William«, erwiderte ich vorwurfsvoll.
Er zog mich zu sich, legte mir einen Finger ans Kinn und drehte meinen Kopf zu sich. »Meine allerliebste Ehefrau«, sagte er sarkastisch.
Ich schloß die Augen, um seinem prüfenden Blick zu entgehen. Dann spürte ich zu meiner großen Überraschung, wie er meinen Mund mit zarten, liebevollen kleinen Küssen bedeckte. Ich fühlte, wie sich in mir längst vergessenes Verlangen regte. Ich legte ihm die Arme um den Hals und zog ihn ein wenig näher zu mir.
»Ich habe es gestern abend schlecht angefangen«, sagte er sanft. »Also nicht jetzt und nicht hier. Aber bald einmal irgendwo, meint Ihr nicht, meine kleine Frau?«
Ich lächelte zu ihm auf, verbarg meine Erleichterung darüber, daß er mich nicht nach Norfolk brachte. »Bald einmal irgendwo«, stimmte ich ihm zu. »Wann immer Ihr es wünscht, William.«
|298| Herbst 1527
In Richmond war Anne die ungekrönte Königin. Sie hatte neue Gemächer bezogen, die neben denen des Königs lagen, sie hatte Hofdamen, ein Dutzend neue Gewänder, Juwelen und zwei Jagdpferde; sie saß bei ihm, wenn er mit seinen Beratern Staatsgeschäfte besprach. Nur im Großen Saal, wenn die Königin zum Essen erschien, wurde Anne an einen Tisch im unteren Teil des Saals herabgestuft, während Katherine in aller Majestät zu Tisch saß.
Ich sollte in Annes Gemächern schlafen, teils um den Anschein des Anstands zu wahren, so daß niemand aus ihrem ständigen Zusammensein schließen könnte, daß sie auch ein Liebespaar waren, in Wirklichkeit aber, um Henry auf Abstand zu halten. Er begehrte sie verzweifelt und argumentierte, da sie nun verlobt seien, müsse sie auch das Bett mit ihm teilen. Anne nutzte jede Ausrede, die ihr zur Verfügung stand. Sie beharrte auf ihrer Jungfräulichkeit. Sie sagte, sie würde es sich nie verzeihen, wenn sie ihm nicht in der Hochzeitsnacht unberührt gegenübertreten könnte. Sie erklärte, wenn er sie so sehr liebte, wie er behauptete,
Weitere Kostenlose Bücher