Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
Euch waschen?« fragte die Magd verlegen. Mit einer Handbewegung deutete sie auf einen Waschkrug und eine Kanne mit kaltem Wasser. »Ich könnte Euch heißes Wasser holen.«
Ich zog meine Reithandschuhe aus und reichte sie ihr. »Ja«, erwiderte ich und dachte flüchtig an den Palast in Eltham, an die dort allgegenwärtige, schmeichelnde Dienerschaft. »Holt mir heißes Wasser, und seht zu, daß man mir meine Kleider heraufbringt. Ich möchte dieses Reitkleid ablegen.«
Sie verneigte sich und verließ den Raum über die kleine Steintreppe. Ich konnte hören, wie sie »heißes Wasser, Kleider« vor sich hin murmelte, um nur ja nichts zu vergessen. Ich ging zum Fenstersitz, kniete mich auf die Bank und blickte durch die bleiverglasten Scheiben.
Den ganzen Tag lang hatte ich krampfhaft versucht, nicht an Henry und an den Hof zu denken, die ich verließ, doch bei dieser spartanischen Heimkehr wurde mir klar, daß ich nicht nur die Liebe des Königs verloren hatte, sondern auch den Luxus, der mir so wichtig geworden war. Ich wollte nicht wieder Miss Boleyn von Hever sein. Ich wollte nicht die Tochter eines Landedelmanns auf seiner kleinen Burg in Kent sein. Ich war doch die am meisten vom Glück begünstigte junge Frau in ganz England gewesen. Ich hatte Hever weit hinter mir gelassen, und ich wollte nicht wieder dorthin zurück.
Mein Vater blieb nur drei Tage, gerade lange genug, um mit seinem Gutsverwalter und den Pächtern zu sprechen, die dringend mit ihm reden wollten. Lange genug, um eine Grenzstreitigkeit zu schlichten und seine Lieblingsstute einem Hengst zuzuführen. Dann war er wieder zum Aufbruch bereit. Ich stand beim Abschied auf der Zugbrücke und bot wohl einen sehr traurigen Anblick, denn sogar er bemerkte es, als er sich in den Sattel schwang.
»Was ist denn los?« fragte er aufmunternd. »Du wirst doch nicht etwa den Hof vermissen?«
|68| »Doch«, erwiderte ich knapp. Es hatte keinen Sinn, Vater zu erklären, daß ich tatsächlich den Hof vermißte, aber daß mir am allermeisten und am schmerzlichsten der Anblick Henrys fehlte.
»Daran bist du selbst schuld«, antwortete mein Vater barsch. »Wir müssen uns jetzt darauf verlassen, daß dein Bruder und deine Schwester alles für dich wieder einrenken. Wenn nicht, dann weiß Gott, was aus dir werden soll. Dann muß ich wohl Carey überreden, daß er dich zurücknimmt, und wir können nur hoffen, daß er dir vergibt.«
Er lachte lauthals, als er mein erschrockenes Gesicht sah.
Ich trat näher zum Pferd meines Vaters, legte eine Hand auf seinen Handschuh, der auf den Zügeln ruhte. »Falls der König nach mir fragt, würdest du ihm sagen, daß es mir sehr leid tut, wenn ich ihn beleidigt habe?«
Er schüttelte den Kopf. »Wir spielen das Spiel so, wie Anne es geplant hat«, erwiderte er. »Sie scheint zu glauben, daß sie weiß, wie man mit ihm umgehen muß. Du tust, was man dir sagt, Mary. Du hast es schon einmal verdorben, jetzt mußt du dich eben den Anweisungen anderer fügen.«
»Warum sollte ausgerechnet Anne bestimmen, was gemacht wird?« wollte ich wissen. »Warum hört ihr immer auf Anne?«
Mein Vater entzog mir seine Hand. »Weil sie einen klugen Kopf hat und ihren Wert kennt«, sagte er schroff. »Während du dich wie eine Vierzehnjährige benommen hast, die zum erstenmal verliebt ist.«
»Aber ich bin doch eine Vierzehnjährige, die zum ersten Mal verliebt ist!« rief ich.
»Eben«, antwortete er gnadenlos. »Und deswegen hören wir auf Anne.«
Er machte sich nicht die Mühe, Abschied von mir zu nehmen, sondern wendete einfach sein Pferd, trabte über die Zugbrücke und über den Pfad zum Tor hinab.
Ich hob die Hand, um ihm zuzuwinken, falls er sich noch einmal umdrehte. Aber er schaute nicht zurück. Er ritt hoch erhobenen Hauptes, den Blick nach vorn gerichtet. Er ritt wie ein Howard. Wir blicken niemals zurück. Für uns gibt es keine |69| Reue, keinen Zweifel. Wenn ein Plan gescheitert ist, machen wir einen neuen. Wenn uns eine Waffe in der Hand zersplittert, greifen wir nach der nächsten. Wenn vor uns Stufen nach unten führen, überspringen wir sie und steigen trotzdem nach oben. Für uns Howards geht es immer nur vorwärts und aufwärts. Mein Vater ritt wieder zum Hof und zum König, ohne auch nur einen Blick zu mir zurückzuwerfen.
Bereits nach der ersten Woche hatte ich alle Spazierwege abgeschritten, die der Garten bot, und hatte den Park in allen Richtungen erkundet. Ich hatte einen Gobelin für den Altar der
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