Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwester

Die Schwester

Titel: Die Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandor Marai
Vom Netzwerk:
mit dem Körper –, dass etwas begonnen hatte. So stand
ich, bis wir in Triest ankamen und der Schaffner an meine Abteiltür klopfte.
    In Florenz nieselte es. Auf dem Bahnhof erwarteten mich zwei
Herren: der Direktor des Palazzo Pitti – in der Sala Bianca des Palazzo sollte
das Konzert stattfinden – und ein städtischer Beamter. Ich war Gast des Staates
und wurde mit taktvoller Höflichkeit empfangen. Ein großes Automobil brachte
mich in die Stadt hinein. Durch das geöffnete Fenster strömten warmer Wind und
der schwüle Hauch von Regen ins Wageninnere. Wir fuhren an Gärten vorüber, die
uns den Duft von durchnässtem Lorbeer und Aloe schickten. Auf das Hupsignal der
Staatskarosse ließen uns die Polizisten an jeder Kreuzung rasch durch, das
Automobil kam in den engen Gassen ohne Aufenthalt voran. Während der kurzen
Fahrt nach der Ankunft sah ich nichts von Florenz. Ich antwortete auf die
freundlichen Fragen meiner Begleiter und spürte eine Aufregung wie ein Schüler
kurz vor einem Rendezvous. Hier war Florenz, ganz nah, gleich würde ich es
sehen, seinen Duft einatmen. Hier war irgendwo der Boboli-Garten, der Palazzo
Pitti, wo ich am Abend für eine kurze Stunde die Polen, die Deutschen und die
Russen versöhnen wollte. Das Bewusstsein, dass Florenz da war, in meiner Nähe,
dass ich die Stadt sehen und spüren konnte, erfüllte mich mit fieberkranker
Erregung und Glücksgefühl. Gleich würde ich mich von meinen Begleitern
verabschieden, aus dem Hotel fliehen und hin zu dem glücklichen, unerwarteten
Rendezvous eilen. Ich würde durch die schmalen Gassen gehen, am Dom
entlangspazieren, über den Ponte Trinità schlendern und zu den sanften Hügeln
von San Miniato hinaufschauen. Würde mir vor dem Konzert noch Zeit bleiben,
einen Wagen zu mieten und für eine halbe Stunde nach Fiesole hinauszuflitzen?
Gewiss würde ich so viel Zeit haben. Zerstreut gab ich Antworten – der
Stadtbeamte sagte etwas über den Krieg, er wollte Nachrichten aus dem Ausland
hören, aber der Krieg war jetzt für mich weit weg, und Florenz war hier, ganz
nah. Habe ich jemals diese körperliche Lust an der Begegnung verspürt, in
anderen Städten? Ja, ein Mal, ganz jung, in Paris. Doch schon erreichten wir
das Hotel.
    Auf diesem kurzen Weg sah ich nichts von Florenz. Und auch später
nicht, in den Monaten, die ich noch in der Stadt verbrachte. Das Fenster des
Krankenhauszimmers ging auf eine Brandmauer, und diese Brandmauer verdeckte
Florenz hartnäckig vor mir. Im Hotel erwartete mich ein weiterer feierlicher
Empfang: Ein uniformierter Herr, der Führer der lokalen faschistischen
Organisation, mit Orden und Parteiabzeichen an der Brust, mehrere Beamte,
Journalisten und der Restaurantmanager begrüßten mich kratzfüßig, stocksteif
und übertrieben offiziell. Im ersten Stock stiegen wir aus dem Aufzug,
formierten uns nach einer gewissen Rangfolge zu einem feierlichen Zug und
schritten als dunkle Gruppe lautlos über die dicken Teppiche hinweg den Flur
entlang bis zum Wohnbereich. Im Salon, einem der Prachträume des mir
zugewiesenen Appartements, brachten Kellner Vermouth und Kanapees, unterdessen
schafften unsichtbare Menschen mein Gepäck in die benachbarte Ankleidekammer.
Die Fenster des Salons gingen auf das Arno-Ufer hinaus, und jetzt sah ich für einen
Augenblick tatsächlich etwas von Florenz. Ich trat ans Fenster und blickte auf
den Fluss, doch schon wurde ich angesprochen, eine kahle Lokalgröße grüßte mich
halblaut, lächelnd und freundlich. Ich musste den Gruß erwidern. Magnesiumlicht
flammte auf, man fotografierte, und der Führer der lokalen faschistischen
Organisation, ein dicker, würdevoller Herr in schwarzem Hemd und Lackschuhen,
dessen kämpferischer, ein wenig komödiantenhafter Anzug überhaupt nicht zu
seinem aufgedunsenen Großvatergesicht passte, formulierte offizielle Worte über
die Zauberkraft der beiden Länder, die Brücken baue über alle irdischen
Abgründe und Zerwürfnisse. Die Zeitungsreporter notierten fleißig. Als er
verstummte, hatten wir alle begriffen, dass wir einander jetzt wirklich nichts
mehr zu sagen hatten. Eine kurze Zeit lang schauten wir umher und tauschten
Banalitäten über das Wetter, die Reise, die Musik und den Krieg aus.
    Â»Na, dann bis heute Abend«, sagte die beleibte Lokalgröße, stand auf
und schüttelte

Weitere Kostenlose Bücher