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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Gefahren, mit Schmutz, zuweilen mit Einsamkeit, zum Beispiel an Tagen wie heute. Oder mit Hunger. Manchmal mit Sehnsucht. Oder Angst. Unwirsch zog sie ihr Schultertuch fester und versuchte, schneller zu gehen. Wenn sie nur nicht so müde wäre.
    «Jetzt werd bloß nicht weinerlich», murmelte sie, «das hat noch nie genützt.»
    Es geht vorbei, dachte sie tapfer weiter, tut es immer. Und wir haben Frühling, jedenfalls fast, das ist der Anfang von was Gutem. Von Licht und Leben. Und Hoffnung. War es auch schon immer.
    Sie bog in den schmalen Gang ein, hinter dessen zweiter Abzweigung ihre Wohnung wartete. Noch!, dachte sie so trotzig wie zuversichtlich. Noch! Hier war es stockdunkel, sie kannte den Weg auch blind, er war vertraut wie die Stimmen, die dieses letzte Stück ihres Weges begleiteten. Das beständig in seiner niederländischen Sprache streitende Paar etwa, dann das sehr heftig streitende Paar mit den jungen Stimmen, die alte Wiesingerin, deren Stimme nur so laut hallte, weil ihr Sohn halbtaub war, dazwischen Kinderstimmen, ab und zu sogar lachende, meistens bei den Hellmanns im dritten Hof, obwohl bei denen auch oft niemand als der Hunger zu Besuch kam.
    Manchmal – heute leider nicht – hörte sie eine Violine, hin und wieder vom leisen Gesang einer Männer- und einer Knabenstimme begleitet. Bisher war es ihr nicht gelungen, herauszufinden, aus welcher Wohnung diese schönen Töne kamen. Auf das Wimmern des Säuglings im Nachbarhaus horchte sie immer genau. Die Mutter, wohl gerade ein oder zwei Jahre älter als Anna, siechte an irgendeiner Auszehrung, auch ihr Mann hustete neuerdings kläglich, solange das Wimmern zu hören war, lebte das Kind noch.
    Dann war sie zu Hause. Sie waren eben doch ein Zuhause, die zwei Zimmer im ersten Stock in den Tiefen des Jakobi-Gängeviertels. Sogar, wenn dort niemand wartete. Es war kalt, sie stocherte vorsichtig in der gemauerten Feuerstelle herum und entdeckte noch ein bisschen Glut. Sie wollte nicht überlegen, ob das ein Wunder war – es musste eines sein –, sondern hoffen, dass die freundliche Martha aus der Wohnung über ihrer ein oder zwei Stücke Torf erübrigen und ihr leihen konnte. Sie war da, ihre Schritte waren deutlich zu hören, nun rückte sie einen Stuhl, jetzt hustete sie. Ihre beiden Schwestern, mit denen sie die beiden Zimmer teilte, schienen noch nicht da zu sein, man würde ihre Stimmen hören. Das war gut, die beiden waren furchtbar knauserig. Sicher konnte sie auch ihre Kerze an Marthas anzünden, für eine Stunde, wenigstens eine halbe brauchte sie ein Licht, sonst wurde die Nacht gar zu lang.
    Sie hatte Glück, Martha war noch allein und gab ihr großzügig drei Stücke Torf. Als sie die steile Stiege wieder hinunterkletterte, trat ihr aus der Dunkelheit ein Junge in den Weg.
    «Bist du Janne? Ich mein: Madam Valentin?»
    Sie hielt die Laterne mit der im Luftzug des Treppenhauses unruhig brennenden Kerze nahe an sein Gesicht. Er war ein dünner Knirps mit braunen Zähnen und geschorenem Kopf. Ihr Herz klopfte schneller. Er erschien ihr vage bekannt, andererseits sahen viele Jungen so aus. Sicher stammte er aus einem der direkt benachbarten Gänge, wie sonst hätte er sie finden können? Sie erinnerte sich nicht, wann zuletzt jemand nach ihr gefragt hatte – das konnte nur Unglück bedeuten. Matthes, dachte sie, Jakob. Oder Anna?
    «Ich bin Janne, ja. Warum? Was ist passiert? Wer schickt dich?»
    «Passiert? Weiß ich nich’. Du sollst zu Madam Kohrs komm’. Gleich.»
    «Kohrs? Ich kenn keine Kohrs. Oder doch, du meinst sicher Cordes. Wilhelmine Cordes?»
    «Kann sein», nuschelte er, um sich gleich eifrig zu verbessern: «Klar, Cordes. Genau.»
    Janne seufzte erleichtert. Kein Unglück. «Warum? Ich war gerade bei ihr.»
    Der Junge hob die dünnen Schultern. «Weiß ich doch nich’. Zu Madam Cordes. Das soll ich sagen. Und nicht zu ihr’m Laden, sie is’ nämlich in der Kattreppelschänke. Du sollst dich beeilen.»
    Die letzten Worte sprach er schon von der Treppe. Die Dunkelheit verschluckte ihn, nur seine Schritte klapperten weiter die Stufen hinab, bis sie im Gang verklangen.
    Madam Valentin, Madam Cordes. Das sah Mine ähnlich – immer ein bisschen fein tun. Was, um Himmels willen, machte sie in dieser muffigen Schänke? Sie musste sich schon bald, nachdem Janne sie verlassen hatte, auf den Weg gemacht haben, und, ganz klar, in die Gänge hatte sie sich bei Dunkelheit noch nie gewagt, was man ihr kaum verdenken konnte. Wenn sich

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