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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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verschieben, hatte aber bekräftigt, weiter zu der Übernahme der Schulden zu stehen.
    »Wir brauchen alle etwas Zeit«, sagte er zu Edward, und es war klar, dass er damit vor allem Cathleen meinte. Dennoch war auch John Sherwood vom Verlust seiner Tochter gezeichnet. Seine glasigen Augen und die geäderte Nase verrieten, dass er öfter, als ihm guttat, Trost im Alkohol suchte.
    Edward war ihm dankbar für den Aufschub. Noch immer suchte er nach einer Gelegenheit, Cathleen die Wahrheit über sich und Amalia zu gestehen, doch er wusste, dass damit ihre Treffen unweigerlich zu einem Ende kämen. Er würde sich damit der einzigen Verbindung berauben, die er noch zu Amalia hatte. Mit der Zeit, die verstrich, erschien es ihm ohnehin sinnlos, wenn nicht grausam, die Erinnerung an ihre Schwester auf diese Weise zu zerstören. Er musste daran denken, was Miss Carrington, die ehemalige Gouvernante von Cathleen und Amalia, zu ihm gesagt hatte. Eines Tages – er hatte sich gerade verabschiedet und wollte gehen – tauchte sie unerwartet in der Eingangshalle vor ihm auf und sprach ihn an.
    »Es freut mich, dass Ihr Weg Sie hierher führt, Lord Hampton«, hatte sie in einer Vertraulichkeit gesagt, die ihr eindeutig nicht zustand. »Sie werden mir die Offenheit verzeihen, aber ich denke, Sie sollten wissen, dass es Amalia gefreut hätte, dass Sie ihrer Schwester in dieser schweren Zeit so zur Seite stehen«, fügte sie hinzu, und dabei hatte in ihren dunklen Knopfaugen ein durchdringender Ausdruck gelegen.
    Edward war nicht fähig gewesen, eine Antwort hervorzubringen. Er hatte nur genickt und war aus dem Haus geflüchtet.
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    D ie Briefe lagen vor ihr auf dem Tisch. Wohl zum hundertsten Mal starrte sie darauf, unschlüssig, was sie damit tun sollte. Ein schwerer Seufzer entrang sich ihren Lippen. Das Leben hatte Miss Carrington gelehrt, dass es selten gut war, in das Schicksal anderer Menschen einzugreifen. Doch in diesem Fall war es anders. Die Zeilen konnten zu viel Unheil anrichten, wenn sie in die falschen Hände gerieten. Es war richtig, was sie vorhatte, sagte sie sich erneut.
    Die Gouvernante nahm das Bündel Briefe und steckte es in ihre Handtasche, bevor sie nach ihrem Hut und Mantel griff. Die Kalesche wartete bereits unten. Die Kutschen der Familie standen Miss Carrington jederzeit zur Verfügung, wenn niemand anderes sie brauchte. Es war eines der Privilegien, die sie als Gouvernante genoss. Sie befand sich in der Hierarchie des Hauses in einer Zwitterposition – sie gehörte nicht zum übrigen Personal, aber auch nicht zu den Herrschaften. Gelegentlich wurde ihr Alltag dadurch ein wenig kompliziert, an anderen Tagen wiederum, so wie heute, kam sie in den Genuss einer Reihe von Annehmlichkeiten, die sie durchaus zu schätzen wusste.
    Einer der Stallknechte würde sie kutschieren, und nachdem Miss Carrington in dem Wagen Platz genommen hatte und die Kalesche sich in Bewegung setzte, kam sie nicht dagegen an, dass sich ihre Gedanken der jüngsten Vergangenheit zuwandten. Ihr Beruf als Gouvernante hatte es mit sich gebracht, dass sie mehr Zuschauerin als Darstellerin auf der Bühne dieser Welt war. Doch sie war eine außergewöhnlich gute Beobachterin. Ihren Augen entging wenig, und so hatte sie auch die Veränderung an Amalia in den letzten Wochen bemerkt. Ihr war aufgefallen, dass es die junge Frau immer öfter nach draußen in die Einsamkeit zog, dass ihr Blick etwas Verträumtes und zugleich Nachdenkliches bekommen hatte und sie mit ihren Gedanken oft weit fort weilte. Miss Carrington war alt und erfahren genug, um diese Anzeichen in der richtigen Weise zu deuten.
    Als Gouvernante wäre es ihre Aufgabe gewesen, die Eltern auf die mögliche Gefahr, die dem Ruf ihrer Tochter drohte, aufmerksam zu machen. Doch etwas hinderte sie daran. Vielleicht war es die Herzlosigkeit von Mrs Sherwood, die Amalia sicherlich nie wieder allein aus dem Haus hätte gehen lassen, oder die nachlässige Milde ihres eigenen Alters, die Miss Carringtons Blick auf das Leben verändert hatte – sie wusste es nicht. Möglicherweise war es auch einfach nur die Tatsache, dass sie Amalia niemals zuvor so glücklich erlebt hatte. Sie war aufgeblüht, und an der Art, wie sie sich bewegte, wie sie sanft lächelte und mit einem Mal so ausdrucksstark malte, musste Miss Carrington erkennen, dass die moralische Unversehrtheit ihres Zöglings vermutlich ohnehin nicht mehr zu retten war. Amalia war zur Frau geworden. Natürlich hätte sie trotzdem

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