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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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einschreiten müssen, aber sie brachte es einfach nicht über sich.
    Im Nachhinein war ihr allerdings nicht ganz klar, wie sie vor so vielen Dingen und Gefahren die Augen hatte verschließen können. Amalia hätte schwanger werden und damit auch Cathleens Ruf und Zukunft zerstören können. Miss Carringtons größter Fehler war es aber zweifelsohne gewesen, dass sie sich nie darüber Gedanken gemacht hatte, wer der Mann war, den Amalia heimlich traf. Sie war aus unerfindlichen Gründen immer davon ausgegangen, dass es jemand einfacherer Herkunft sein müsste – durchaus gebildet, aber eher arm.
    Als Amalia dann bei dem Zusammentreffen mit den Hamptons aus der Bibliothek gestürzt war, hatte sie im Gegensatz zu allen anderen die schreckliche Wahrheit sofort geahnt.
    Miss Carrington unterdrückte erneut ein Seufzen. Sie fasste die Handtasche in ihren Händen unwillkürlich ein wenig fester. Als sie nach ihrer Rückkehr aus Paris von dem schrecklichen Unglück erfuhr, war sie sofort nach oben in die kleine Kammer unter dem Dach gegangen. Sie wusste, dass Amalia sich dorthin manchmal zurückgezogen hatte, und musste nicht lange suchen. Die Briefe lagen verborgen hinter einer losen Wandvertäfelung, und sie hatte sie an sich genommen. Selbstverständlich hatte sie keine Zeile gelesen, aber auch so war ihr klar, dass der Verfasser nur Lord Hampton sein konnte. Hätte sie noch einen letzten Zweifel gehabt, seine Besuche in den letzten Wochen hatten sie ihr genommen. Cathleen war in ihrer Trauer wie blind dafür, dass er nicht kam, um sie zu trösten, sondern um selbst Trost zu finden. Ohne Frage konnte das Leben in Wirklichkeit oft weit dramatischer und grausamer sein, als es die kühnste Dichtung zu erzählen vermochte, dachte sie bei sich.
    89
     
    E dward war in seinem Arbeitszimmer in Hampton. Briefe stapelten sich auf seinem Tisch. Schon seit Tagen schob er die Korrespondenz vor sich her. Er nahm einen Schluck von seinem Drink, der die Leere und Kälte in seinem Inneren jedoch nicht beseitigen konnte. Wenn er allein war, umhüllte ihn der Schmerz wie ein grauer Nebel, aus dem es kein Entkommen gab. Er war unfähig, etwas zu tun. Manchmal saß er Stunden auf einem Stuhl und starrte ins Leere.
    »Mylord?« Er fuhr zusammen, er hatte die Schritte des Butlers nicht gehört.
    »In der Halle ist eine Dame, die Euch zu sprechen wünscht. Sie sagt, es sei wichtig, wollte mir aber nicht den Grund für ihren Besuch mitteilen. Ihr Name ist Carrington, Miss Carrington.«
    Edward nickte verwundert.
    »Danke, dass Sie mich empfangen, Eure Lordschaft«, sagte die Gouvernante, als sie wenig später den Raum betrat. Sie trug einen altmodischen, kleinen Hut, wie er vor vielen Jahren einmal in Mode gewesen war, und hielt ihre Tasche fest umklammert auf ihrem Schoß.
    »Ich hoffe, Sie haben meine Bemerkung neulich nicht als unangemessen empfunden …«, begann sie.
    Er schüttelte höflich den Kopf, obwohl das Gegenteil der Fall gewesen war. »Darf ich fragen, was Sie zu mir führt, Miss Carrington?«
    »Nun ja …« Sie rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. »Ich habe etwas, das, wie ich annehme, Ihnen gehört.« Die Gouvernante öffnete ihre abgetragene Handtasche.
    Sprachlos starrte Edward sie an, als sie ihm das Bündel mit den Briefen reichte, die er Amalia geschrieben hatte. Er erinnerte sich daran, wie er sie ihr gegeben hatte. Es war der Tag gewesen, an dem sie sich das erste Mal geliebt hatten. Alles in ihm schnürte sich plötzlich zusammen.
    »Ich dachte, dass es Ihnen bestimmt lieber ist, wenn ich sie Ihnen gebe, als wenn jemand auf Sherwood die Briefe entdeckt«, erklärte sie leise und ein wenig verlegen.
    »Woher wissen Sie, dass sie von mir sind? Hat Amalia Ihnen von uns erzählt?« Seine Stimme klang brüchig.
    Miss Carrington schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich habe es gesehen. Sie war auf einmal so anders … so glücklich.« Sie sagte das merkwürdig betont, als handele es sich um einen Zustand, der ihr selbst nicht nur fremd, sondern auch ein wenig besorgniserregend erschien.
    Er blickte sie an. »Cathleen ahnt nichts. Ich wollte es ihr sagen …«, erklärte er, ohne dass es ihm gelang, die Verzweiflung in seiner Stimme zu verstecken.
    »Nein, Cathleen weiß nichts«, bestätigte Miss Carrington. Sie atmete tief durch. »Und Amalia hätte unter diesen Umständen auch sicherlich nicht gewollt, dass sie es erfährt. Sie hat ihre Schwester sehr geliebt«, setzte sie sanft hinzu. Die Gouvernante erhob sich.

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