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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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Ein Anflug von Mitleid regte sich in ihrem Gesicht. »Danke, dass Sie sich für mich Zeit genommen haben, Mylord.«
    Noch lange starrte er auf die Tür, durch die sie entschwunden war. Seine Hände hielten die Briefe, und erst in diesem Moment begriff er unwiderruflich, dass Amalia nicht wieder zurückkommen würde. Tränen rannen über seine Wangen, und ein lautloses Schluchzen stieg aus seiner Kehle.

MELINDA

90
     
    M elinda lag die halbe Nacht wach in ihrem Bett. Es tat weh, mehr, als sie sich eingestehen wollte. Immer wieder sah sie die Bilder des Abends vor sich – den Überfall, wie ihr George Clifford zu Hilfe gekommen war und sie sich geküsst hatten und wie sie schließlich bei ihm zu Hause die schreckliche Akte über sich gefunden hatte.
    Plötzlich erinnerte sie sich, wie Major Colby ihr in Berlin in der britischen Besatzungskommandantur erzählt hatte, jemand habe Erkundigungen über sie eingezogen. Es war George Clifford gewesen, dessen war sie sich jetzt sicher. Er hatte sogar ein Foto von ihr machen lassen. Sie sah das Bild von sich selbst noch immer deutlich vor sich. Melinda wusste sogar, an welchem Tag es gemacht worden war, denn sie hatte die Mappe mit den Arbeitsproben ihrer Artikel bei sich. An jenem Tag war sie gerade von dem Vorstellungsgespräch mit Scholz gekommen. Es war kalt gewesen. Unglaublich kalt.
    Eine längst vergessene Szene drängte sich plötzlich an die Oberfläche ihres Bewusstseins. Ein Mann, der gegen sie stieß. Ihre Mappe, die zu Boden glitt …
    Sie fuhr senkrecht in ihrem Bett hoch. George war in Berlin gewesen! Persönlich. Aufgewühlt schaltete sie die kleine Nachttischleuchte ein. Deshalb war er ihr von Anfang an so bekannt vorgekommen, und sie hatte nicht einordnen können, wo sie sich schon einmal begegnet waren. Natürlich war sie keine Sekunde auf die Idee gekommen, dass es in Berlin gewesen war. Weshalb war George dorthin gereist? Um Informationen über sie zu beschaffen! Als Anwalt war ihm das vermutlich leichtgefallen.
    Melinda stand auf und lief einige Schritte unruhig durch das Zimmer. Sie war hellwach, dabei war es erst sechs Uhr und draußen noch dunkel.
    Sie blickte auf die Notiz, die sie bei ihrer Rückkehr in ihrem Zimmer gefunden hatte. Sie stammte von Mrs Benson. Mrs Finkenstein habe sich erneut gemeldet und bitte sie dringend um einen Rückruf. Es sei wichtig. Das letzte Wort war unterstrichen. Ab wann konnte man die Bankdirektorin am Morgen anrufen? Alles vor acht Uhr war vermutlich unhöflich. Seufzend versuchte Melinda sich etwas abzulenken. Doch das Ergebnis war nur, dass ihre Gedanken immer wieder zu George Clifford wanderten. Vielleicht hätte sie ihn damit konfrontieren sollen, dass sie die Akte entdeckt hatte. Doch sie war allein mit ihm in seinem Haus gewesen, Meilen entfernt von der nächsten Ortschaft. Was wusste sie schon, was für ein Mensch er wirklich war? Die Entdeckung, dass er Informationen über sie gesammelt hatte, hatte sie zutiefst verstört und war, gerade weil sie ihm vertraute, beinahe schrecklicher als der Überfall.
    Melinda fielen plötzlich die beiden Zeitungsartikel ein, die sie aus der Akte mitgenommen hatte, und sie griff nach ihrer Handtasche, um sie hervorzuholen. Wie sie bereits beim Überfliegen in Georges Haus festgestellt hatte, behandelten sie den Tod der Sherwood-Schwestern. Auch in dieser Hinsicht hatte er sie also belogen! Sie begann zu lesen, hielt aber schon nach wenigen Zeilen überrascht inne. Die Artikel waren 1897 geschrieben worden, kurz nach dem Tod von Cathleen Sherwood, die im April 1897 umgekommen war. Sie berichteten in ungewöhnlich kritischem, nahezu verdächtigendem Ton über die mysteriösen Todesfälle. Barry Sandfort, der Journalist, der die Berichte geschrieben hatte, warf der Polizei darin nicht nur vor, die Fälle unzureichend überprüft zu haben, sondern deutete auch mehrmals an, dass Lord Edward Hampton auf verdächtige Weise in die Todesumstände der beiden Schwestern verwickelt sei. Es klang beinah so, als hielte er einen Mord für möglich.
    Melinda lehnte sich grübelnd in ihrem Stuhl zurück. Sie war sich relativ sicher, dass die Hamptons damals so viel Macht und Einfluss gehabt hatten, dass ein Journalist niemals solche Verdächtigungen hätte aussprechen können, wenn er nicht Beweise für seine Behauptungen gehabt hätte.
    Es war ein überraschend neuer Blickwinkel auf die Geschehnisse.
    91
     
    E s war Punkt acht Uhr, als Melinda die Wählscheibe des Telefons betätigte, das

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