Die Seele des Feuers - 10
Es übersteigt alles, was ich je über Magie gehört, gelernt oder geglaubt habe.«
Jetzt war es an ihr, ein besorgtes Gesicht zu machen. Vermutlich machte er ihr grundlos Angst, andererseits konnte er ihr vermutlich nicht einmal ansatzweise so viel Angst machen, wie er bereits verspürte.
»Joseph Ander«, begann er, »hielt sich schlicht für besser als die anderen Zauberer.«
»Das wissen wir bereits.«
»Ja, aber möglicherweise hatte er sogar Recht.«
»Was?«
»Manchmal liegen Genie und Wahnsinn dicht beieinander. Ich weiß einfach nicht, wo ich die Grenze ziehen soll, Kahlan. Nichts über Magie zu wissen, kann einerseits von Nachteil sein, andererseits aber bedeutet es, dass ich, im Gegensatz zu den Zauberern auf der Burg damals, nicht mit vorgefassten Meinungen belastet bin. Ich könnte also die Wahrheit in seinen Worten erkennen, wo sie nicht dazu imstande waren.
Sieh doch, Joseph Ander betrachtete Magie nicht so sehr als ein System von Bedingungen – du weißt schon, eine Prise hiervon, dann dieses Wort dreimal aufsagen, während man sich auf dem linken Fuß um seine Achse dreht, und all diese Dinge.
Er sah Magie als eine Form der Kunst – als Ausdrucksmittel.«
Kahlan runzelte die Stirn. »Ich kann dir nicht ganz folgen. Entweder man bewirkt einen Bann, wenn er wirken soll, so, wie es sich gehört, oder er funktioniert eben nicht. So, wie ich meine Kraft über eine Berührung herbeirufe. So, wie wir die Chimären herbeigerufen haben, indem wir gewisse Anforderungen der Magie erfüllt und sie dadurch freigesetzt haben.«
Er wusste, dass sie aufgrund ihres magischen Könnens, ihres Hintergrundes und ihres Wissens über Magie vor den gleichen Schwierigkeiten stand wie die Zauberer damals. Richard spürte einen winzigen Hauch jener Frustration, die auch Joseph Ander verspürt haben musste. Auch in diesem Punkt verstand er diesen Mann um vieles besser – und begriff ein wenig, wie frustrierend es sein musste, sich von den Menschen irgendwelche unumstößlichen Tatsachen anhören zu müssen, obwohl man es besser wusste, ohne sie jedoch dazu bringen zu können, das abstrakte Gedankengebäude eines größeren Ganzen zu erkennen, das unmittelbar vor ihnen lag.
Wie Joseph Ander erwog auch Richard, es noch einmal zu versuchen.
»Ja, ich weiß, und ich behaupte auch nicht, dass es nicht funktioniert, nur glaubte er, es stecke mehr dahinter. Er war überzeugt, die Magie könne auf eine höhere Ebene geführt werden – auf eine Bewusstseinsebene, die höher liegt als jene, derer sich die meisten mit der Gabe Gesegneten bedienten.«
Jetzt runzelte sie endgültig die Stirn. »Das ist doch Wahnsinn, Richard.«
»Nein, das glaube ich nicht.« Er nahm das Reisebuch zur Hand. »Dies ist die Antwort auf eine ihrer nicht im Buch aufgeführten Fragen – aber du musst sie dir anhören, um zu verstehen, wie Joseph Ander denkt.«
Er las ihr den entscheidenden Punkt der Übersetzung vor.
»›Ein Zauberer, der nicht wirklich zerstören kann, kann auch nicht wirklich erschaffen.‹« Richard tippte auf das Buch. »Damit meinte er einen Zauberer ähnlich denen, die gegenwärtig mit der Gabe gesegnet sind, einen Zauberer, der ausschließlich über Additive Magie verfügt – wie zum Beispiel Zedd. Wer nicht über beide Seiten der Magie verfügte, der besaß in Anders Augen nicht einmal die Gabe. Ein solcher Mann war für ihn nichts weiter als eine Abweichung von der Regel und obendrein hoffnungslos benachteiligt.«
Richard wandte sich wieder dem Reisebuch zu und fuhr fort: »›Ein Zauberer muss sich selbst kennen, sonst läuft er Gefahr, eine unheilvolle Magie zu bewirken, die seinem eigenen freien Willen zuwiderläuft.‹ Hier spricht er von den schöpferischen Aspekten der Magie jenseits ihres eigentlichen Gefüges. ›Magie investiert und bündelt Leidenschaften, sie stärkt nicht nur Empfindungen wie Freude, sondern auch ins Verderben führende Leidenschaften, die auf diese Weise zu Obsessionen werden können.‹«
»Klingt, als wollte er den Hang zu Zerstörung rechtfertigen«, warf sie ein.
»Das denke ich nicht. Ich glaube, er ist einer wichtigen Sache auf der Spur, einer höheren Ausgewogenheit sozusagen.«
Kahlan, die offenkundig nicht begriff, was er sah, schüttelte den Kopf. Da er jedoch nicht wusste, wie er es ihr näher bringen sollte, fuhr er fort: »Was jetzt kommt, ist wichtig. ›Phantasie macht einen großen Zauberer aus, denn mit ihrer Hilfe kann er die Grenzen der Tradition überschreiten,
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