Die Seelenburg
zeigte. Das allerdings war es nicht, was Jane so schaudern ließ.
Sie sah sehr deutlich das Blut, das in den Mundwinkeln der Frau klebte.
»Der Bruderkuß!« flüsterte Dodo. »Nun gehörst du zu uns.«
Jane Collins bewegte wie in Zeitlupe den rechten Arm nach oben. Die Hand tastete über die Wange. Fingerspitzen fuhren auf der glatten Haut entlang und berührten die feuchte, klebrige Flüssigkeit.
Janes Finger zuckte zurück. Sie hielt die Hand vor ihr Gesicht und sah die roten Flecken.
Es war Blut!
Dodo Dorano lachte. Ihr war Janes Entsetzen durchaus nicht entgangen.
»So muß es sein«, sagte sie.
»Es ist dein Blut, nicht?« fragte Jane.
»Ja. Meins. Es hätte auch ein anderes sein können, aber du hast mich zuerst getroffen.«
»Was soll das heißen?«
»Daß ich jetzt deine Führerin bin und du mir gehorchen mußt. Gleichzeitig stehst du auch unter meinem Schutz. Du hättest auch Felix und Robert begegnen können.«
»Was sind das schon wieder für Leute?«
»Zwei Brüder.«
»Gehört sonst noch jemand zu der Gruppe?«
»Ja, meine Freundin. Eine Ärztin. Du wirst sie kennenlernen. Ihr Vater war Engländer, sie heißt Anke Book.« Plötzlich lachte Dodo unkontrolliert. »Wenn Anke erfährt, daß du jetzt mein Schützling bist, dann wird sie sich ärgern. Dabei hätte sie auch gehen können.«
Jane schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das alles nicht«, sagte sie.
»Wieso muß ich dir gehorchen?«
»Weil mein Blutkuß dich getroffen hat.«
»Und?«
»Blut ist ein besonderer Saft, das steht schon im Faust. Aber mein Blut ist außergewöhnlich, es ist nicht mehr normal, sondern vom Spuk infiziert. Der Spuk und der Meister haben dafür gesorgt, daß ich ein Teil von ihnen werden konnte. Ich habe die große Weihe erfahren und durfte das Blut trinken.«
»Welches?«
»Dämonenblut!«
Jetzt war es heraus, und Jane Collins zitterte. In welch einen Alptraum war sie da hineingeraten? Entsprach das alles hier den Tatsachen? Kam sie jemals hier wieder heraus?
»Ich kann verstehen, daß du neugierig bist«, sagte Dodo. »Ich will auch deine Neugierde befriedigen. Komm, ich zeige dir alles.«
Jane ging mit. Sich zu weigern hätte wohl keinen Zweck gehabt, es war besser, sie spielte jetzt mit. Vielleicht ergab sich später noch eine Chance.
Die beiden so ungleichen Frauen schritten in den Hintergrund der großen Halle. Dodo Dorano hielt noch immer die Messer fest. Davon wollte sie sich nicht trennen.
Jane konnte erkennen, daß die Halle auch hier nicht leer war. Sie sah mehrere Töpfe und Gefäße, die etwas heller waren als der Steinboden, auf dem sie standen, aber durch Rohre miteinander in Verbindung standen.
Sie blieben stehen. »Schau nach links«, sagte Dodo.
Die Detektivin wandte den Kopf. Das Rohr, das die Gefäße verband, lief an der Wand hoch und verschwand in der Decke.
»Von dort oben werden sie gefüllt«, erklärte ihr Dodo.
»Mit Blut?«
Dodo nickte. »Auch«, erwiderte sie. »Auch mit Blut, aber mit einem bestimmten.« Sie winkte Jane zu, ging schon vor und blieb neben dem größten Gefäß stehen.
»Ich will es dir zeigen, und du wirst überrascht sein, was wir schon alles geschafft haben.« Während der Worte streckte sie ihre rechte Hand aus, griff nach dem Deckel und hob ihn in die Höhe.
Jane konnte einen Blick in das Gefäß werfen.
Ein widerlicher Geruch stieg ihr entgegen. Die Flüssigkeit war ziemlich dick, zudem warm, so daß sie Blasen warf, die langsam an die Oberfläche trieben und dort mit einem satten Knall zerplatzten. Ein paar Spritzer trafen Jane Collins, und sie zuckte zurück.
»Das ist es«, sagte Dodo, »das ist das Geheimnis des Dämonenbluts. Wir haben es hergestellt. Der Spuk hat uns die Anleitung gegeben. Die genaue Mischung kennt nur der Meister.«
»Und woraus besteht es?«
»Es ist nicht nur das Blut abtrünniger Dämonen, sondern auch das von Tieren…«
»Und von Menschen?«
Da hob Dodo, die in der gebückten Haltung stand, den Kopf und schaute Jane Collins schräg von unten her an. »Ja, auch von Menschen, meine kleine Jane.«
Jane zeigte auf die Messer. Mit rauer Stimme fragte sie: »Hast du damit…?«
»Ja, damit habe ich getötet. Es ist noch nicht lange her. Ich wollte ja sehen, ob sich das Blut gut mit dem anderen vermischt hat. Der Meister hatte mir den Auftrag gegeben.«
»Wen hast du getötet?«
»Rate mal!« Dodos Augen funkelten. Sie konnte die Gier jetzt nicht mehr zurückhalten.
»Menschen?«
»Nein, es waren Hähne.«
Weitere Kostenlose Bücher