Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
hinterließ.
Rabea registrierte es mechanisch, summierte die Leiche und die Spuren des
Kampfes im Wohnzimmer dazu und der absurde Gedanke schoss ihr durch den Kopf,
dass sie, wenn sie so weitermachten, Isa bald eine Komplettrenovierung des
Hauses schulden würden.
Entmutigt
war Lukas wieder auf der Bettkante zusammengesackt. Rabea setzte sich zu ihm:
"Bitte Lukas, es ist nicht deine Schuld. Wir sind 250 Kilometer von Rom
entfernt. Wir hätten Lucies Entführung so oder so nicht verhindern können.“
Dass
Lucie nach ihrem Zwillingsbruder gerufen hatte, stellte Rabea nicht eine
Sekunde lang in Frage, zu gut kannte sie selbst die geheimen Bande zwischen
zwei Menschen, die durch tiefe Gefühle miteinander verbunden waren. Es war die
Macht des Blutes und der Liebe, die die beiden Geschwister so eng aneinander
knüpfte. Doch Lukas war im Moment keiner Vernunft zugänglich. Lucie hatte ihn
um Hilfe gebeten und er hatte sie ignoriert, so wie er Gott ignoriert hatte und
sich allein seinem Vergnügen unterworfen hatte. Er fühlte sich derart schuldig,
dass alle anderen Gefühle, die nicht Lucie betrafen, zu grauer Asche zerfielen.
Er hatte Gott herausgefordert und sich seinem Verlangen nach Rabea ergeben. Er
hatte sich genommen, wovon er dachte, dass es ihm seit langem zustand, und als
Strafe hatte Gott ihm nun Lucie genommen. Wie hatte er nur einen Augenblick
annehmen können, dass es richtig war, was er tat? Er hatte die Liebe zu Rabea
über seine Liebe zu Gott gestellt und Gott ließ ihn wahrlich schnell für seine
Sünde büßen.
Selbst
für einen Außenstehenden wäre es anhand seiner beredten Miene unschwer zu
erkennen gewesen, welche Überlegungen er wälzte.
Dies
ließ wiederum in Rabea die Wut hochkochen. Wie konnte er nur so schnell die
wunderbare, glückselige Stunde vergessen, die sie soeben miteinander geteilt
hatten? Diesen vollkommenen Moment verleugnen? Nein, mein Lieber, so ja wohl
nicht, dachte sie aufgebracht. Entschlossen hob sie ihr Kinn und ballte
ihre kleinen Hände zu festen Fäusten, als ob sie sich darauf vorbereitete, Gott
höchstpersönlich aus dem Schlafzimmer zu boxen.
Nicht
einen Gedanken verschwendete Rabea daran, dass sie im Begriff stand, absolut
irrational zu handeln. Vor noch nicht einmal zehn Minuten war sie bereit
gewesen, Lukas von sich aus aufzugeben, in dem sie ihm die Wahrheit darüber
eingestand, was sie getan hatte, in dem Wissen, dass sie damit das Ende ihrer
Liebe eingeleitet hätte und ihr vielleicht nicht einmal der Trost von Lukas
Freundschaft geblieben wäre. Dafür hätte sie die Achtung vor sich selbst
zurückgewonnen, ein Tausch, den sie bereit gewesen war, einzugehen. Nun aber,
da nicht sie selbst es in der Hand hatte, den Kampf um Lukas zu entscheiden,
sondern Gott erneut seine gierige Hand nach ihm ausstreckte, fuhr sie ihre
Krallen aus, bereit bis zum letzten Atemzug um ihre Liebe zu kämpfen:
"Lukas, bitte hör mir zu. Du darfst dich nicht so quälen. Lucies
Entführung hat keinesfalls mit göttlicher Vergeltung zu tun. Wenn jemanden
Schuld trifft, dann allein Bentivoglio. Du selbst hast gesagt, dass ein Kind in
reiner Liebe gezeugt, der Gipfel der Schöpfung ist, wie könnte Liebe dann
jemals schlecht sein? Die Kirche hat das Zölibat vor eintausend Jahren aus
einem einzigen Grund erfunden: um euch Priester zu beherrschen. Weißt du, was
Foucault schreibt? Dass der erste Akt der Freiheit des Menschen darin
besteht, über den eigenen Körper zu verfügen . Genau das versuchen sie zu
verhindern, indem sie seit beinahe zwei Jahrtausenden das Monopol für Bildung,
Wissenschaft und Moral für sich beanspruchen. Sie knechten unsere Körper,
unsere Seelen, unseren Geist. Nur wenn wir uns unwürdig fühlen, haben sie Macht
über uns. Aber die Gier nach Macht, gepaart mit religiösem Fanatismus ist die
gefährlichste Mischung überhaupt; es gibt keinen tödlicheren Feind für Liebe
und Toleranz, für Frieden und Glück. Doch genau dies sind die Werte für die
dein Jesus Christus eintrat! Das war seine Botschaft und darum haben sie ihn
ans Kreuz genagelt. Die religiösen und die politischen Führer dieser Erde
wollen überhaupt nicht, dass die Mehrheit der Menschheit zufrieden ist. Ein
zufriedener Mensch ist frei von Angst. Doch das Manna der Macht ist die Angst.
Darum versuchen sie der Menschheit seit Anbeginn Angst zu machen: Vor dem
Fegefeuer und dem Jüngsten Gericht, der ewigen Verdammnis und der verderbten
Sünderin Frau, vor mediengerecht präsentierten Feindbildern
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