Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
und Lukas nicht ahnten, die Lage war weit brenzliger als angenommen.
Sobald Rabea den Kofferraum geöffnet hatte, würden ihre Schwierigkeiten erst
richtig beginnen. Der Polizist würde das in ein blutverschmiertes Taschentuch
gewickelte Messer finden, das Gabriel ihnen als charmantes Danaer-Präsent
untergejubelt hatte. Rabeas Hand suchte bereits den Spalt unter der
Kofferraumhaube nach dem Knopf ab, drückte ihn und die Haube sprang mit einem
kleinen Klack einen Spalt auf. Sie griff nach dem Deckel, um ihn anzuheben, als
sich plötzlich der zweite Beamte aus dem Wagenfenster herausbeugte und nach
seinem Kollegen rief. „Eja, Davide, schwerer Unfall auf der Superstrada bei
Jesi Nord. Wir müssen sofort hin und beim Absperren helfen.“
Der
junge Polizist warf Rabea einen letzten bedauernden Blick zu, dann sprintete
er, die rechte Hand an seiner Waffe, die andere an der Mütze, Richtung Wagen
davon. Schon rauschte der Polizeiwagen mit Blaulicht und Martinshorn an ihnen
vorüber und Rabea winkte ihnen freundlich nach. Lächelnd stieg sie zurück in
den Wagen und meinte: „Puh, das war knapp.“ Lukas war zwar ebenfalls
erleichtert, dass die Episode glimpflich ausgegangen war, konnte es sich aber
als typischer Alphabulle, in dessen Revier gerade jemand anderer herum geschnuppert
hatte, nicht verkneifen, sie kurz missbilligend zu mustern. Seiner Meinung nach
warf sie mit ihren Reizen zu verschwenderisch um sich, obwohl es ihn eigentlich
nichts anging, wie er sich vernünftigerweise selbst eingestand. "Du hast
noch nicht einmal ein Ticket für zu schnelles Fahren bekommen." Es hörte
sich eingeschnappt an und Rabea konnte nur mit Mühe ein selbstgefälliges
Grinsen unterdrücken.
Danach
verlief ihre Fahrt ohne weitere Zwischenfälle. Sie schwiegen und jeder hing
seinen eigenen Gedanken nach, die sich ausschließlich um Lucie drehten. Auf
halber Strecke tauschten sie die Plätze. Rabea nutzte die Zeit und blätterte
vorab in Bentivoglios Tagebuch. Erst kurz vor Rom unterbrachen sie die eingetretene,
unbehagliche Stille und sprachen ihr weiteres Vorgehen ab.
Lucie erwachte. Ihr Kopf und Nacken schmerzten höllisch und sie
hatte einen staubtrockenen und ekelhaften Geschmack im Mund. Ihr war so speiübel,
dass sie sich jeden Moment würde übergeben müssen. Schlagartig kam ihr wieder
zu Bewusstsein, was passiert war und sie musste feststellen, dass das trockene
Gefühl von dem Knebel her rührte, den man ihr in den Mund gestopft hatte und
dass Kotzen keine angemessene Alternative war – nicht, wenn sie nicht an ihrem
eigenen Erbrochenen ersticken wollte. Sie lag im Dunkeln irgendwo auf engstem
Raum auf dem Bauch, ihr tat jeder Knochen weh und sie konnte ihre Hände nicht
bewegen. Lucie konnte nicht sagen, ob ihr von dem Betäubungsmittel übel war
oder von dem nach Schweiß stinkenden Knebel. Scheiße, dachte sie, und die
Erkenntnis traf sie mit der Wucht einer Kanonenkugel: Sie war schon wieder
entführt worden! Sie musste an Jules Worte damals in Beirut denken. Er hatte
nach ihrer Rettung gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit entführt zu werden,
ungefähr so hoch ist, wie einen Lottogewinn zu landen. Na toll, dachte Lucie
trocken, jetzt habe ich den Jackpot zum zweiten Mal geknackt. Sie war so
stinksauer, dass ihre Wut darüber, das zweite Mal dasselbe Malheur zu erleiden,
sie momentan davor schützte, Angst zu empfinden. Vielleicht spielte auch die
Erfahrung, dass das erste Mal glimpflich für sie abgelaufen war, dabei eine
Rolle. Obwohl Jules es für völlig unwahrscheinlich gehalten hatte, dass es noch
einmal geschehen könnte, hatte er ihr und Rabea einen mehrtägigen Crashkurs mit
Verhaltensregeln für den neuerlichen Fall einer Entführung gegeben. Lucie
strengte sich an, die damals gespeicherten Informationen von ihrer Festplatte
abzurufen. Lektion Nummer 1: Stelle dich dümmer als du bist.
Scheiße , dachte Lucie. Lektion 1 sollte
eher lauten: Wie verkneife ich mir das Kotzen mit einem ekligen Knebel im Mund?
Sie zwang sich, regelmäßig und tief durch ihre Nase ein- und auszuatmen. Das
Übelkeitsgefühl wich langsam in ihren Magen zurück. Dumm stellen. In ihrem
Falle hieß das wohl, ihre Entführer erst einmal nicht merken zu lassen, dass
sie inzwischen aufgewacht war.
Lektion 2: Situation erfassen. Endlich wurde sie klarer im Kopf,
das Schwindelgefühl ließ nach und sie begriff, warum sie ihre Hände nicht
bewegen konnte. Sie waren mit Handschellen gefesselt und sie lag halb auf ihren
nach unten
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