Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
auf, obwohl sie genau wusste, dass die Initialen für die
"Societa Jesu" standen und hinter dem Namen eines jeden
Jesuitenpriesters aufgeführt wurden.
Lukas
schenkte ihrer frechen Bemerkung keinerlei Beachtung und öffnete stattdessen
vorsichtig das Kuvert. Verwundert erkannte er das Siegel und die Unterschrift
auf dem Brief: Niemand anderer als Ignazio Bentivoglio, der amtierende
Ordensgeneral der Jesuiten, hatte die Zeilen an ihn persönlich verfasst. Die knappe
förmliche Einladung bat Lukas von Stetten, SJ, sich heute pünktlich um 15:00
Uhr an der genannten Adresse einzufinden. Die ungelenke Schrift vermittelte den
Eindruck, als hätte der Verfasser beim Schreiben einige Mühe aufwenden müssen,
um das Schreibgerät zu führen. Am Ende fand sich ein merkwürdiges Postskriptum:
"Wahren Sie absolutes Stillschweigen über dieses Treffen und achten Sie unbedingt
darauf, dass Ihnen niemand folgt. Ich werde Sie direkt in meinen privaten
Räumlichkeiten empfangen. Klingeln Sie am leeren Namensschild."
Plötzlich
wurde Lukas bewusst, dass Rabea direkt neben ihm stand und sich auf
Zehenspitzen balancierend bemühte, einen Blick auf die Zeilen zu werfen. Der
Mahnung im Postskriptum eingedenk, faltete er das Blatt rasch zusammen und steckte
es in die Hosentasche. Rabea setzte eine gleichmütige Miene auf und angelte
sich ein Stück inzwischen erkalteten Toast. Nachdenklich knabberte sie darauf
herum. In ihrem kurzen, aber ereignisreichen Leben als Reporterin hatte sie
gelernt, möglichst viele Informationen aus wenig Input herauszufiltern. So
hatte sie sich zum Beispiel angewöhnt, bei Briefen und E-Mails immer zuerst das
Postskriptum zu lesen, da sie die Erfahrung gemacht hatte, dass sie meist die einträglichsten
Informationen enthielten. Zwar
hatte sie nur einen kurzen, flüchtigen Blick auf das Blatt werfen können, aber
die wenigen Sekunden hatten ihr ausgereicht, das P.S. zu lesen und das Siegel
zu erkennen. Das war ja interessant. Lukas hatte also eine geheime Unterredung
mit dem Generaloberen der Jesuiten. Sie verstaute diese Information in Gedanken
in ihrer Datei für nützliche Informationen, um sie bei Bedarf abzurufen. Zum
Beispiel, wenn es ihrerseits um die Interviewanfrage für den Pater General
ginge. Lukas würde ihr dann sicherlich bei der Beschaffung eines Termins
entgegenkommen, obwohl er dies als moralisch fragwürdig brandmarken würde. In
ihrem Beruf konnte sie sich keinerlei Empfindlichkeiten leisten. Im
unerbittlichen Konkurrenzkampf der Informationsbeschaffung hatte sie allzu oft die
schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass eine Journalistin bei der Wahl ihrer
Mittel nicht zimperlich sein durfte. Sobald jemand in ihrem Metier schneller,
schlauer, hartnäckiger oder auch verderbter war, war die Story verloren. In der
Welt der globalen Nachrichten zählte nur eine Doktrin, nämlich wer die
Nachricht als Erster gebracht hatte und damit die höhere Auflage oder Einschaltquote
erzielte. Während sie auf dem Toast und ihren Gedanken herumkaute, dachte Lukas
seinerseits über die ungewöhnliche Art der Einladung und das merkwürdige Postskriptum
nach. Weshalb bestellte ihn Bentivoglio nicht einfach in seinen offiziellen
Amtssitz im Borgo Santo Spirito, sondern in eine Wohnung in der Via Condotti,
unweit der Piazza di Spagna, einem der belebtesten Plätze von Rom? Was sollte
die Geheimnistuerei, zumal der junge Priester tatsächlich nicht die blasseste
Ahnung hatte, was der Pater General von ihm wollte. Er wusste, dass Rabeas spitze
Bemerkung über das Gerücht des schlechten Gesundheitszustandes Bentivoglios
zutraf. Innerhalb seines Ordens war es ein offenes Geheimnis, dass der Pater
General schwer erkrankt war, aber er hätte nie gedacht, dass diese Information
bereits den Borgo Santo Spirito verlassen hatte. Plötzlich wurde er sich Rabeas
forschenden Blickes bewusst und er beeilte sich, ihr ein gleichmütig wirkendes
Lächeln zuzuwerfen, das aber in einen jähen Hustenanfall überging - Nachwirkungen
des verschluckten Eis. Zwischen zwei Hustenattacken verkündete er würdevoll,
dass er die Duschstange wieder aufhängen und sich anschließend rasieren müsse. Das Geräusch, das der große antike Eisenschlüssel
verursachte, als ihn Lukas demonstrativ im Badezimmerschloss umdrehte, drang deutlich
bis in die Küche. Offensichtlich war der junge Jesuit zu dem Schluss gekommen,
sich keinerlei zusätzlichen Risiken auszusetzen und einem weiteren Angriff auf
seine Privatsphäre vorzubeugen.
Die jungen
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