Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
von Bamberg, dieser grundgütige, feine Mensch, dessen Herz so groß und
weit war, dass seine Liebe alle Menschen dieser Erde erfasste, hatte nun für seine,
Lukas von Stettens, offene Rechnung bezahlt. Und die Währung war die höchste
überhaupt gewesen: sein Leben.
Franz
war seit Lukas Kindheit mehr als nur sein Vorbild und Mentor gewesen, er hatte
beinahe die Stelle eines Vaters für ihn eingenommen. Seine Mutter hatte ihre drei
Kinder meist den wechselnden Kindermädchen überlassen; ihren Vater Heinrich,
der ein erfolgreiches Firmenimperium leitete, sahen er und seine Geschwister
eher selten. Onkel Franz hatte Lukas unter seine Fittiche genommen und früh die
Begabungen und Neigungen des Knaben entdeckt und gefördert. Stundenlang konnten
sich Onkel und Neffe mit der eigenen Ahnenforschung beschäftigen, da niemand
bisher das Geheimnis der genauen Herkunft der von Stettens gelöst hatte. Der
erste Stetten, Alexander, tauchte Ende 1778 wie aus dem Nichts in Nürnberg auf.
Er war gebildet und kultiviert, sah sehr gut aus, und, vor allen Dingen, war er
so sagenhaft reich, dass er sich in die alteingesessene Patrizierfamilie Haller
von Hallerstein einkaufen konnte und die einzige Tochter des Hauses ehelichte. Auf
Vermittlung der von Hallersteins erwarb er von Kaiser Franz II. ein
Adelspatent und nannte sich fortan von Stetten. Die Verbindung zu den
von Hallersteins war vermutlich mit ein Grund, warum die Spekulationen über
einen Familienschatz nie verstummten: Als am 09. August 1796 die französische
Revolutionsarmee Nürnberg besetzte, war es ein Oberst Johann Haller von
Hallerstein, der am Morgen desselben Tages die wertvollen Insignien des
deutschen Kaisertums in Sicherheit brachte. Alexander von Stetten setzte seinen
Reichtum geschickt ein, investierte in Bergbau und Schiffe und stieg groß in
den Handel mit den neuen Vereinigten Staaten von Amerika ein. Das, was Bischof
und Neffe aber besonders an ihm faszinierte, war, dass er, obwohl sich Nürnberg
bereits 1529 als Luther-treu und damit protestantisch erklärt hatte, hartnäckig
auf seinem Katholizismus beharrte, was zu jener Zeit nicht ungefährlich war.
Aus der Ehe Alexanders gingen mehrere Kinder hervor, von denen jedoch nur zwei
Söhne überlebten. Der jüngere schlug eine erfolgreiche Kirchenlaufbahn ein, wie
ein junger Mann in beinah jeder Generation der von Stettens. Besonders gerne
spekulierten Onkel und Neffe über den verschollenen angeblichen Familienschatz.
Die Spekulationen hatte der Bischof 1963, als junger Theologiestudent selbst
angefacht: Damals hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, die gesamte Bibliothek in
der Villa auf den Kopf zu stellen. In einer alten, abgegriffenen Bibel, die
seit Jahrzehnten ein stilles Dasein geführt hatte, was wenig verwunderte, da
die von Stetten Bibliothek mit weit prachtvolleren Ausgaben aufwarten konnte,
war er überraschend fündig geworden und auf einen vergilbten und vergessenen
Feldpostbrief aus dem Jahre 1916 gestoßen. Er war Ende Juni in Frankreich, während
der Schlacht von Verdun, von seinem Urgroßvater, Major Ferdinand von Stetten an
seine Frau Edith aufgegeben worden. Er enthielt die üblichen patriotischen
Redewendungen, erwähnte jedoch mit keinem einzigen Wort den Schrecken des
Krieges. Der Brief schloss mit dem Postskriptum: "Hinterlege den Umschlag für
Heinrich beim Notar!"
Der
junge Franz war sofort elektrisiert und war fortan nicht mehr von seiner
Überzeugung abzubringen, hier auf einen tatsächlichen Hinweis auf das angebliche
und verschollene Familienvermächtnis gestoßen zu sein. Der Gedanke an den Umschlag
und seinen möglichen Inhalt ließ ihn Zeit seines Lebens nicht mehr los. Auch
sein älterer Bruder Heinrich wurde daraufhin vom Schatzfieber gepackt und
zusammen trugen die beiden Brüder alle überlieferten Familiendaten und
Informationen aus der Zeit vor und während des 1. Weltkrieges zusammen. Am Ende
kamen sie, ohne es zu wissen, der Wahrheit ziemlich nahe. Sie vermuteten, dass
ihr Urgroßvater Ferdinand, ein Soldat, der seit zwei Jahren die Schrecken des
1. Weltkrieges erfuhr, damals dem Schlimmsten ins Auge sah: Dass er aus dem
Krieg nicht zurückkehren könnte. Beider Eltern waren bereits verstorben und es
gab sonst keine Verwandten. Wollte er deshalb, dass der Umschlag für seinen
kleinen Sohn und einzigen Erben bei einem Notar hinterlegt wurde, damit jener niemandem
Fremden in die Hände fallen konnte, da ansonsten ein vermeintliches Familiengeheimnis
offenbart werden
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