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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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so wenig, Charles. Schau nur die Spanier und Portugiesen! Sie segeln durch die Meere und erobern sich die Welt. Was würde ich darum geben, einmal dorthin mitzureisen, in eine andere Welt, so fremd, als wäre man gestorben und hätte doch die Gnade einer Wiederkehr mitsamt all der Erfahrung…«
    Das Cliffordpüppchen war verschwunden. Der Fremde zog die Hand aus seiner Manteltasche.
    »Ach, sieh mal, was ich finde! Seltsam. Eine trockene Erbse!« Der Fremde ging zur Tür. »Adieu!« Es wurde mäuschenstill, nur die Geräusche aus der Küche klangen leise her.
    Charles fühlte Gott, der über allem war. Er schloss die Augen. Er würde eine Weile liegen bleiben. Später würde er zum Schlangenkeller gehen und nichts von dem erzählen können, was geschehen war. Er betete das Vaterunser und fühlte ängstlich in sich nach, ob Gott ihn hörte und hoffentlich behütete…

11. K APITEL ,
    in welchem Freunde sich das erste Mal misstrauen
     
     
     
    Andrew nahm die Thames Street, Gregor die Route über The Wardrobe, Search folgte dem Fluss bis Bridewell – und Charles, dem immer noch die Knie wehtaten, schlich sich von Norden an.
    Die Blackfrairs Seven gingen stets getrennt, wenn sie sich im Schlangenkeller trafen. Aus Vorsicht. Sie blickten hinter sich, je näher sie dem Fleet River und der westlichen Stadtmauer kamen. Jeder hatte seine Kniffe, sich am Ende gleichsam vom Erdboden verschlucken zu lassen.
    Andrew war spät dran, und er beeilte sich, so gut er konnte.
    Die Thames Street war voller Lärm und Staub. Zahllose Fuhrwerke drängten sich aneinander vorbei, überall Pfiffe, Glocken, Peitschenknallen, Flüche, Schreie, Rufe, Tiergebrüll, die von den Häusern widerhallten. Handkarren wurden gezogen, geschoben, standen im Weg herum. Unzählige Träger schleppten Bündel, Säcke, Kisten, Käfige mit Hühnern, halbe Schweine, Körbe mit Gemüse, Steingut, Lederrollen, Filzballen, Nägeln und Beschlägen. Arbeiter trugen Bauholz, Steine, Kiepen mit Sand, Kalk, Kies und Lehm. Andrew wich aus, wurde angerempelt, stolperte über Bretter, die aus dem Dreck der Straße ragten, musste sich ducken, wurde beäugt, übersehen, ausgelacht, bestaunt und, wie ihm plötzlich schien, verfolgt!
    Es war ein Junge, elf, zwölf Jahre alt, in zerrissenen Hosen, schmutzig, barfuß, mit zerzausten Haaren und knochigen Hungerwangen, die Augen steckten tief in dem Gesicht.
    Der Bengel schielte immer wieder ungeschickt herüber. Andrew tat, als merkte er es nicht. Der Junge zögerte zuweilen, folgte weiter, spähte, hielt einen kurzen, dicken Stock, mit dem er spielte. Ein kleiner Dieb vielleicht, der sich an Andrews Fersen geheftet hatte, um seinem Bandenchef am Abend irgendetwas auf den Tisch zu legen, ein Stück Leder oder Brot, damit er nicht verdroschen wurde. Ein kleiner Messerheld, der einem ziemlich wehtun konnte. Andrew hatte ein paar Begegnungen mit solchen Ratten überstanden.
    Er bog um eine Ecke, um eine zweite. Der Junge klebte an ihm wie Pech, hüpfte umher, schlenderte, pfiff und spuckte wie ein Großer. Plötzlich kletterte er über einen Zaun, kehrte zurück und hatte einen Apfel in der Hand, der mit ein paar Bissen flink in seinem Mund verschwand. Schon waren die Gärten am Fleet River in Sicht. Andrew musste handeln, jetzt. Der Bengel ging ihm langsam auf die Nerven. An einer Baumgruppe ließ er sich blitzschnell in eine Mulde fallen, wartete einen Moment und robbte an den oberen Rand. Er lugte die Straße hinauf: Sein Verfolger war verschwunden. Er wartete noch einen Augenblick, dann stand er auf. Der Lärm der Straße, die noch nah war, brach sich in den Gassen, wurde leiser und versiegte, als er in die abgelegenen Gärten kam.
    Er überquerte die Brücke in Bridewell, folgte dem Treidelweg ein Stück und tauchte ins Gestrüpp der alten Schmiede ein, vollkommen ungesehen, wie er glaubte, als plötzlich Margaret vor ihm stand!
    »Das ist ein Schreck! Du bist nicht unfehlbar«, sagte sie mit süßer Stimme. »Der junge Herr hier ist Dick Dickens, der Sohn unseres Kutschers.« Sie deutete auf den mageren Bengel, der plötzlich in der Nähe stand. »Ich fürchte, er ist im Verfolgen und Verstecken besser als du und hat sich seinen Penny wohl verdient.«
    Margaret gab dem Jungen die Münze und lächelte Andrew an.
    »Er hat dich von mir abgelenkt. Bist du uns böse?«
    »Ja«, sagte Andrew. Er meinte es ganz ernst. »Die andern sind dort unten. Du kannst nicht mit.«
    Dick polierte das Geldstück und machte sich aus dem

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