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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Staub.
    »Ich will nicht mit«, erklärte Margaret.
    Andrew trat unruhig auf der Stelle.
    »Ich wollte dir eigentlich bloß zeigen«, fuhr sie fort, »dass ich auch was kann. Mein Vater wäre stolz auf mich.«
    »Du weißt genau, dass das nicht stimmt«, sagte er.
    Sie nickte. »Magst du mich trotzdem immer noch?«
    Er grinste nur.
    »Ich muss jetzt zu den anderen«, sagte er und spuckte kräftig aus.
    Margaret nickte.
    Sie zog ein zusammengefaltetes Papier aus ihrem Kleid und gab es Andrew. »Vielleicht glaubst du mir jetzt, dass ich mutig bin. Ich habe es heimlich im Studierzimmer meines Vaters abgeschrieben.«
    Andrew öffnete das Blatt.
    Er wurde bleich.
    »Sag bitte nichts!«, bat Margaret. »Lies es dir durch und zeig es den anderen, wenn du willst. Ich wollte auch ein bisschen nützlich sein.«
    Andrew fühlte sich beschämt. »Du kannst jetzt nicht allein nach Hause gehen.« Er war besorgt. Wie war sie vorhin eigentlich unbehelligt an Söldnern, Gassenvögten und Stadtwachen vorbeigekommen, die an jeder Ecke standen und Frauen oft belästigten, statt ihnen Schutz zu bieten? Es ziemte sich einfach nicht für eine junge Dame, allein umherzulaufen. Aber so war Margaret. Mit dem Kopf durch alle Wände und kein Feind ist schlimm genug! Doch wenn er ehrlich war, bewunderte er gerade diesen Dickkopf am allermeisten.
    »Ich bin alleine hergekommen«, sagte sie. »Dick Dickens hätte mich wohl kaum beschützen können. Niemand traut mir etwas zu. Du bist nicht besser als mein Vater.« Sie lachte. »Ich werde mit ihm reden, um seinen Segen für uns bitten. Er ist im Herzen gut. Er will mein Bestes. Du und ich gehören zusammen, das wird er noch verstehen.« Sie winkte Andrew zu und lief davon.
    Er starrte auf das beschriebene Papier und warf ihr einen Kuss nach. Dann überflog er, was Margaret für ihn abgeschrieben hatte. Es war der Abschiedsbrief von Tim McDuff. Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken.
    Er folgte dem niedrigen, dunklen Gang zum Schlangenkeller, tastete sich an den rauen, gemauerten Wänden entlang, bis er weit hinten Lichter flackern sah. Er hörte Stimmen, blieb stehen und rief die Parole: »Semper libertas, pavor nunquam!«
    Die anderen übersetzten: »Immer Freiheit, niemals Furcht!«
    Andrew ging weiter, bis er in der trockenen Kellerhöhle stand, die breiter als der Gang war, aber genauso niedrig.
    »Wo warst du denn?« Gregor hielt ein Öllicht in die Höhe.
    Andrew tat, als blendete es ihn.
    Er begrüßte Clatter.
    »Eine Art Überfall«, log er. »Eine Horde Bettelkinder, schlimmer als hundert Zecken.«
    Der Hund stand auf und freute sich. Andrew hatte ihn am Vorabend draußen ein Stück laufen lassen. Er humpelte zwar, aber das schien ihn nicht zu stören. Andrew hatte ihm erzählt, was ihn bedrückte, wie einem Freund. Clatter hatte zu ihm aufgeblickt, als ob er jedes Wort verstanden hätte.
    »Ich hab hier was.« Andrew hielt den Brief in seiner Hand.
    Er las laut vor: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen. Wer diese Zeilen liest, hält die Worte eines Toten in der Hand. Ich, Tim McDuff, Schüler am New Inn zu London, wurde im Jahre des Herrn 1505 in Mile End als viertes Kind des Schneiders John McDuflf und seiner Frau Eileen geboren… Jetzt kommt es!« Andrew blickte hoch. Dann las er weiter.
    »Zwei Tage nach Mariä Verkündigung fand ich zwischen den Decken meines Betts einen versiegelten Brief, der nur zwei Zeilen enthielt: Gott ist. Die Welt ist. Du bist. Aber wie groß ist die Entfernung zwischen euch? Zuerst kam mir die Frage dumm und albern vor. Ich vergaß sie fast. Dann, nach ein paar Tagen, wurde sie ein kleines Tier, das sich in meine Seele schlich und mich nicht schlafen ließ. Ich betete vergeblich. Ich schlug mich blutig, ohne dass mir Gott half, die innere Ruhe wiederzuerlangen…«
    Andrew machte eine Pause. Es war totenstill.
    »… Das Tier wurde größer. Es nagte an meinem Herzen. Es ernährte sich von mir. Ich wurde diese Frage nicht mehr los: Wie weit entfernt ist Gott von mir?«
    »Gott ist mit uns«, stellte Gregor leise fest.
    »Weil es die Welt gibt«, ergänzte Search.
    Charles sagte nichts.
    »… Das Tier wurde zum Ungeheuer«, las Andrew weiter. »Es kroch in meine Träume und fraß ein Loch in meine Welt. Ich hatte Angst. Ich betete nicht mehr. Mein Glauben starb. Ich fühlte nichts. Ich hatte aufgehört, ein Mensch zu sein…«
    Andrew atmete tief ein.
    »… Später fand ich einen zweiten Brief. Darin stand, dass Gott nicht

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