die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
ihr kein Bier?”
Marek sah aus, als wollte er bei dem Gedanken daran ebenfalls speien. „Bier ist für Babys.” Er deutete auf den Topf. „Probier noch mal. Man gewöhnt sich daran.”
Rhia wischte sich den Mund ab. „Ich bleibe lieber nüchtern – und durstig.”
Marek zuckte mit den Schultern und nahm ihr den Topf ab. Nachdem er einen großen Schluck heruntergestürzt hatte, fasste er in seinen Beutel und nahm eine leere Feldflasche heraus, in die er den Inhalt des Topfes leerte.
„Ich mache noch mal meloxafreien Tee.” Aus einer größeren Flasche goss er frisches Wasser in den Topf. „Nimm dir etwas von dem Essen.”
Rhia musste man nicht zweimal bitten. Sie staunte darüber, dass sein Talent zur Nahrungssuche ebenso groß war wie das zum Jagen. Neben dem Fleisch lagen wenigstens ein Dutzend Wurzeln, gereinigt und zart und knusprig gegart.
Marek verschüttete aus Versehen etwas Wasser ins Feuer, als er den Topf zum Kochen aufsetzte. Er seufzte und fluchte.
Sie sah sich sein schiefes Grinsen an. „Hast du den ganzen Tag Meloxa getrunken?”
„Nein, ich habe dir doch gesagt, ich habe Pfeile gemacht.” Rhia sah sich den kleinen Haufen aus schiefen, dürren Stäben an, die wahrscheinlich nie eine Sehne sehen würden.
„Und Meloxa getrunken”, fügte er hinzu. „Du hast geschlafen. Mir war langweilig.”
„Trinken Kalindonier viel?”
Er dachte einen Augenblick nach. „Was ist schon ,viel’?” „Warum so viel?”, fragte sie.
„Meinst du mich oder Kalindonier im Allgemeinen? Denn die zwei Begründungen sind nicht gleich.”
„Kalindonier. Deinen Grund kann ich mir denken.” „Kannst du?” Er rückte den Topf zurecht und hielt ihn länger als nötig ausbalanciert, ehe er losließ. „Alles, was ein Kalindonier macht, tut er, um den Geistern nahe zu sein.”
„Jagen? Essen? Sich lieben?”
„Alles. Wir glauben, dass in dieser Welt das Leben auszukosten der beste Weg ist, die Geisterwelt zu berühren. Nicht dass wir in Trance herumwandern und ,Danke, Geist, dafür, dass ich gerade so herrlich gepisst habe’ murmeln. Wenn man uns zusieht, glaubt man kaum, dass wir besonders spirituell sind. Man hält uns eher für einen Haufen schamloser Dreckskerle, die den Tieren, die uns schützen, viel zu sehr ähneln.”
Er griff sich eine Wurzel von dem Haufen neben ihrer Hand. „Du wirst gut zu uns passen.” Er hielt einen Finger hoch. „Das meine ich als Kompliment.”
„Du musst viel gereist sein”, sagte sie, „um zu verstehen, wie ein Außenstehender die Kalindonier sieht.”
„Coranna reist nicht, also sammle ich ihre Vorräte. Ich bin in allen Dörfern unseres Volkes gewesen – in Asermos, Tiros in der westlichen Ebene, selbst im Süden, in Velekos.”
„Da bin ich auch gewesen.” Es war der einzige Ort, den sie außerhalb von Asermos besucht hatte. „Beim Mitsommerfest der Fiedler.”
Seine Miene erhellte sich. „In welchem Jahr? Vielleicht waren wir gemeinsam dort.”
„Ich war sechzehn, also muss es zwei Jahre her sein.” Marek wandte den Blick ab. „Oh. Damals war ich nicht dort.”
Seine Frau und sein Kind. Natürlich. Rhia wechselte das Thema, ehe seine Stimmung sich verdüsterte. „Bist du je im Land der Nachfahren gewesen?”
„So weit im Süden war ich nie. Ich glaube nicht, dass es mir gefallen würde. Einer unserer Bären, ein Freund von mir, hat einmal eine Nachricht vom kalindonischen Rat dorthin überbracht. Er hat gesagt, es gab Gebäude aus weißen Steinen, so weit er sehen konnte. An einer Stelle, in der Mitte der Stadt, konnte er keinen einzigen Baum mehr ausmachen.” Mareks Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. „Und das Merkwürdigste ist, er konnte die Geister nicht mehr spüren.”
„Nicht spüren? Aber sie sind überall.”
Er sah sich die Bäume an, die Felsen, die gefallenen Äste. Rhia flüsterte: „Du meinst, wo es”, sie deutete um sich, „das hier nicht gibt, gibt es auch keine Geister?”
„Diese Menschen glauben nicht. Sie haben menschliche Götter. Sie verehren, was sie selbst geschaffen haben, und es kommt nicht von der Erde. Es kommt von ihnen.”
„Und deshalb besitzen sie keine Magie. Die Geister haben sie verlassen.”
„Oder ...” Marek zögerte.
„Oder was?”
„Oder vielleicht gedeihen die Geister nur, wo die Menschen an sie glauben.”
Rhia starrte ihn an. „Das kann nicht stimmen. Das würde ja bedeuten ...”
„Dass sie uns genauso brauchen, wie wir sie brauchen.” „Aber wenn jeder
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