die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
Nuss. „Dennoch, Tage wie dieser sind es wert.”
„Haltet ihr oft solche Feste ab?”, fragte Rhia.
„Wir halten Feste ab, wenn Menschen diese Welt betreten oder sie verlassen”, antwortete Coranna.
„Du hast beides an einem Tag getan.” Etar hob seinen Becher. „Also ist das Fest doppelt so groß.”
Coranna drehte sich zu ihm. „Sie ist fast noch einmal gestorben, nachdem ich sie zurückgebracht habe.”
Interessiert betrachtete er Rhia. „Wie war das?”
Wieder konnte sie nicht lügen, nicht vor einer Eule. „Ich hatte beim zweiten Mal schreckliche Angst, aber Elora hat mich gerettet. Als ich aber beim ersten Mal gestorben bin, war mir so kalt, dass es mir vorkam, als wären meine Gefühle auch erstarrt. Es war mir egal, ob ich überlebe.”
„Das ist der Segen der Krähe”, warf Coranna ein. „Er er259
laubt uns, unsere Körper ohne Angst oder Schmerz zu verlassen. Nach dem ersten Kampf werden wir taub.” Sie schob das Essen auf ihrem Teller hin und her, ohne davon zu nehmen. „Als ich ertrunken bin, hat es zuerst wehgetan, als würde das Wasser mich von innen erdrücken. Ich hatte geschworen, nicht dagegen anzukämpfen, aber ich habe es doch getan. Ich habe um jeden Atemzug gekämpft.”
Die Menge um sie herum war wild, aber sie saßen zu dritt wie unter einer Glocke des Schweigens.
„Als ich endlich aufgegeben hatte”, fuhr Coranna fort, „hat alles angefangen zu glitzern. Ich war so gefangen von den Sonnenstrahlen, die über mir tanzten, dass ich nicht merkte, wie die Dunkelheit um mich herum hereinbrach, bis sie plötzlich alles war, was ich noch sehen konnte. Dann war es vorbei, und Krähe war bei mir.” Verständnisvoll begegnete sie Rhias Blick.
„Also, sagt mir”, Etar beugte sich über den Tisch, um leise mit ihnen zu sprechen, „wie lange, meint ihr, habe ich noch zu leben?”
Rhia erblasste ob der Ungehörigkeit der Frage, doch Coranna brach in schallendes Gelächter aus. „Etar, ich habe dir schon gesagt, dieses Spiel spielen wir nicht.”
„Gib Rhia eine Chance”, sagte er. „Außerdem habe ich so viel Meloxa getrunken, dass ich mich morgen ohnehin an nichts, was sie erzählt, erinnern werde.”
„Aber ohne Krankheit oder Verletzung”, Rhia sah Coranna an, „wie kann ich da sagen, wie lange er zu leben hat?”
„Unfälle kannst du nicht vorhersagen. Diese Dinge lauern nicht im Inneren eines Menschen.” Sie lehnte sich im Stuhl zurück und deutete auf Etar. „Aber Krankheiten schon, selbst wenn der Mensch sich gesund fühlt.”
„Willst du, dass ich ihm sage, wann er sterben wird?” Es verstieß gegen alle Regeln, die Galen sie gelehrt hatte.
Coranna betrachtete sie ausdruckslos. „Das hegt bei dir. Er will, dass du es siehst, und ich werde dich nicht aufhalten.”
„Aber ihr seid beide betrunken.”
„Sei nicht so ein Spielverderber, Rhia.” Coranna winkte mit ihrem Becher, nur einen Finger am Henkel. Sie legte Rhias Hand auf Etars Arm. „Es hilft, wenn du ihn anfasst.”
Rhia schluckte. Mit all ihrem verbleibenden Mut nahm sie die Hand von seinem Arm. „Nein. Ich werde es nicht tun.”
„Auch gut. Ich mag mein Leben sowieso gern ein bisschen geheimnisvoll.” Seufzend stand Etar auf. „Ich muss meine alten Knochen strecken. Coranna, gehst du ein Stück mit mir?” Jemand reichte ihm im Vorbeigehen einen frischen Becher Meloxa, den er mit einem Lächeln annahm.
„Sehr gern.” Die weise Alte warf das Haar zurück wie ein junges Mädchen, als sie aufstand, und beugte sich dann noch einmal zu Rhia. „Du hast gerade eine wichtige Prüfung bestanden. Du hast deiner eigenen Weisheit mehr vertraut als meiner Autorität.” Sie drückte Rhias Schulter. „Ganz wie eine Krähe.”
Sie ließen Rhia in ihrer Verwirrung allein. Nachdem sie den Inhalt ihres Bechers untersucht hatte, schob sie ihn von sich. Wenn noch mehr solcher „Prüfungen” vor ihr lagen, behielt sie lieber einen klaren Kopf.
Der gleiche junge Mann, der Etar eben bedient hatte, stellte einen neuen Becher Meloxa vor sie hin. Er zwinkerte mit einem dunklen braunen Auge und sagte: „Ich habe gehört, du magst es süß.”
„Danke.” So hübsch er auch war, sie hoffte, er meinte ihr Getränk.
Als der Kellner sich entfernte, suchte sie den Tisch nach mehr Wasser ab. Ihr Blick begegnete dem von Razvin, der am gegenüberliegenden Ende saß. Er betrachtete sie auf eine Art, die besagte, dass sein Blick nicht gerade eben erst auf sie gefallen war.
Rhias alte Instinkte rieten
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