Die Sehnsucht der Konkubine
die mit keinem anderen Ziel im Herzen gen Süden gefahren waren, als Kommunisten abzuschlachten, entschlossen, Maos Rote Armee zu zerstören. Und doch weinte sein Herz um sie, irgendwo an einem Ort tief seinem Innersten, zu dem er keinen Zugang hatte.
»Du da.« Er zeigte auf einen jungen Soldaten in der grauen Uniform und der roten Armbinde der Kommunistischen Truppen Chinas, der einen blutenden Menschen aus dem Wrack zog. Der Verwundete war ein Hauptmann der Nationalistischen Armee, was aus den Farben, die er trug, zu schließen war, und durch die Explosion war ihm der Unterleib aufgerissen worden. Er versuchte mit beiden Händen, seine blutenden Eingeweide vor dem Herausfallen zu bewahren, doch einer der Därme war ihm aus der Hand geglitten und schleifte hinter ihm her. Er rollte sich auf, als der junge Kommunist ihn freimachte, doch der nationalistische Hauptmann schrie nicht.
»Du da«, sagte Chang wieder. »Hör auf. Du kennst die Befehle.«
Der junge Soldat nickte. Er sah so aus, als würde er sich gleich übergeben.
»Nur die, die gehen können, werden von uns mitgenommen. Der Rest …«
In einer zögerlichen Bewegung, während Chang über ihn gebeugt dastand, nahm der junge Soldat sein Gewehr von der Schulter. Trotz der eisigen Luft stand ihm Schweiß auf der Stirn. Er hatte die plumpen Gesichtszüge und die breiten Hände eines Bauernsohnes, ein junger Landmann, der zum ersten Mal in seinem Leben weit weg von seiner Heimat war. Und jetzt das.
Chang erinnerte sich an das erste Mal, als er getötet hatte. Es hatte sich ihm in die Seele eingebrannt.
Der Soldat schulterte das Gewehr, genau wie er es gelernt hatte, doch seine Hände zitterten heftig. Der Mann auf dem Boden bettelte nicht um sein Leben, sondern schloss einfach die Augen und lauschte dem Wind und dem, von dem er wusste, dass es die letzten Schläge seines Herzens sein würden. In diesem Moment zog Chang selbst seine Pistole, beugte sich über den verwundeten Hauptmann, legte die Mündung der Pistole an seine Schläfe und drückte auf den Abzug. Ein Zucken ging durch den Körper. Für den Bruchteil einer Sekunde senkte Chang den Kopf und vertraute die Seele des Mannes seinen Ahnen an.
Der Tod. Er schien ihn zu verfolgen.
Die wuchtige Dampflok des Zuges war aus den gesprengten Gleisen gesprungen und mit dem Kessel voran die Böschung hinuntergestürzt, dabei aber nicht umgekippt. Der Gepäckwaggon dahinter stand in einem ungewohnten Winkel nach oben, hatte jedoch nur zwanzig längliche Holzkisten geladen, von denen vier bei dem Aufprall zersplittert waren. Changs Herz raste, als er sie sah. Er sprang in den Waggon, stemmte sich gegen die Schräge des Bodens und legte eine Hand besitzergreifend auf eine der offenen Kisten.
»Luo«, rief er.
Luo Wen-cai, der junge Kommandant des kleinen Angriffstrupps, kletterte unbeholfen hinter ihm auf den Waggon. Eine nur schlecht verheilende Schusswunde an seinem Oberschenkel hemmte den ansonsten flinken Mann in seinen Bewegungen, verhinderte jedoch nicht das Grinsen, das jetzt über sein breites Gesicht huschte.
»Chang, mein Freund, was für einen Schatz hast du denn da für uns geborgen?«
»Tokarew-Gewehre«, murmelte Chang.
Der Fund war sogar noch besser, als er erwartet hatte. Mit diesem Beutezug würden sie nicht nur Tschu En-lai im Hauptquartier der Partei im Süden, in Shanghai, erfreuen, sondern endlich auch überall dorthin Waffen schicken können, wo sie gebraucht wurden – in die militärischen Ausbildungslager; in die Fäuste entschlossener Männer, die für die kommunistische Sache zu kämpfen bereit waren. Tschu En-lai würde sich des Erfolges brüsten und seine Tigerklauen schärfen, als hätte er die Beute höchstpersönlich an Land gezogen. Das würde ihm noch größere Unterstützung bei den mao-zi, bei den Haarigen, einbringen.
Die mao-zi. Das Wort blieb Chang im Halse stecken. Das waren die europäischen Kommunisten, diejenigen, die den Geldsäckel der Kommunistischen Partei Chinas unter ihrer Kontrolle hatten. Ihre Vertreter waren ein Deutscher namens Gerhart Eisler und ein Pole mit Namen Rylsky, doch beide waren nur das Sprachrohr Moskaus. Von dort kam ihr Geld, und dort saß die eigentliche Macht.
Und doch gab es auch einen Zug, der Truppen und Waffen aus Russland zu Tschiang Kai-scheks weit ausgedehnter Nationalistischer Armee transportierte, zu den eingeschworenen Feinden der chinesischen Kommunisten. Das ergab keinen Sinn, wie Chang es auch drehte und wendete. So wie
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