Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
es war nur eine Sache der Perspektive und des Überlebens, welcher Piratenflagge man sich anschloss. Der Gedanke an Harriet durchzuckte ihn. Ob sie ihn so sah wie diese Männer? Kam daher ihr Abscheu vor ihm? Sie hatte sich entschuldigt und ihn geküsst, vermutlich liebte sie ihn tatsächlich, aber was war, wenn die Leidenschaft abkühlte? Was wäre er dann in ihren Augen? Ein Verbrecher? Selbst wenn er sich aus diesem Geschäft zurückzog?
Johnson nickte nur. »Mr.Hawkins – kümmern Sie sich darum.«
Weitere Männer folgten, manche langsamer, andere sehr eifrig, auch wenn Hawkins etliche von ihnen ablehnte. Es waren letztendlich nicht mehr als zehn, die auf der El Capitano bleiben durften. Der Rest von ihnen, fünf davon schwer verletzt, wurde in die Beiboote des gekaperten Schiffes verfrachtet.
»Die sehen wir über kurz oder lang wieder«, brummte Johnson, als die beiden Boote sich mit den Riemen vom Schiffsrumpf abstießen. »Darauf gehe ich jede Wette ein.«
»Dann werden wir sie nächstes Mal an den Zehen aufhängen und ihnen langsam die Haut von Körper schälen«, schlug Lan Meng fröhlich zwitschernd vor. »Das schreckt sicher ab! Bei uns machen wir das immer so.«
Charles musste über Johnsons entgeisterten Blick grinsen, auch wenn er ahnte, dass die Chinesin keinen Scherz gemacht hatte.
Die beiden Männer, die zuvor das »ehrbare« Leben auf der El Capitano gewählt hatten, waren in eine lebhafte Diskussion mit Hawkins vertieft, bis dieser zu Johnson trat.
»Verzeihung, Sir, die beiden meinen, sie hätten El Capitano etwas Wichtiges mitzuteilen.«
»Sie sollen herüberkommen.« Charles musterte sie aufmerksam, als sie mit einem verlegenen Grinsen heranschlurften. »Sie sind El Capitano, Sir?«, fragte der eine, offenbar der Wortführer.
Charles gönnte ihm eine Musterung von oben bis unten, die den Mann unruhig von einem Fuß auf den anderen treten ließ. »Und wenn ich es wäre?«
»Dann hätten wir vielleicht eine Nachricht für Sie. Unser Anführer hat vor zwei Tagen ein amerikanisches Schiff gekapert. Und da war eine Lady an Bord. Eine Jessica …«
»O’Connor«, half ihm sein Kumpan aus, als er beim Namen stockte.
Beide traten einen Schritt zurück, als Charles eine kleine, fast unmerkliche Bewegung machte. Seine vorher so gleichmütigen, hellbraunen Augen hatten sich verändert. »Und weiter?«, fragte er ruhig, als die beiden zögerten.
»Die Lady befindet sich noch im Laderaum. Wir dachten, das interessiert Sie vielleicht. Bringt ein schönes Löse…«
Der Mann hatte kaum ausgeredet, als Charles schon unterwegs zum anderen Schiff war, das man mit Enterhaken so knapp an die El Capitano gezerrt hatte, dass er mit einem Tau hinüberschwingen und an Deck springen konnte.
Hawkins war sofort hinter ihm her. »Sir?«
»Waren Sie schon in den Laderäumen?«
Hawkins lief ihm nach. »Unsere Leute durchkämmen gerade das ganze Schiff. Wenn sie auf die Lady gestoßen wären, hätten sie schon Bescheid gesagt.«
Charles war beim Niedergang angelangt, als er von unten überraschte Ausrufe und dann eine Frauenstimme hörte, die sich energisch »derartiges« Benehmen verbat.
Er warf Hawkins einen schnellen Blick zu, dann kletterte er gewandt die Leiter hinab und stand gleich darauf vor seinen Männern.
»Was geht hier vor?«
Die beiden bewaffneten Seeleute traten zwei Schritte zurück, als sie ihn so unvermittelt vor sich auftauchen sahen.
»Nix«, erwiderte der eine im Ton gekränkter Unschuld. »Haben nur die Lady hinter Schloss und Riegel gefunden und sie gefragt, was sie da wohl macht.«
Eine Frau trat auf ihn zu. Kein Zweifel, sie war es, Jessica Finnegan, jene Frau, von der er damals gehofft hatte, sie könne seine Kälte und Einsamkeit vertreiben. Das Wiedersehen war wie ein Schock. Er hatte Mühe, nach außen hin seine kühle Beherrschung zu wahren.
»Sind Sie der Captain des Schiffes, das diesen Piraten verfolgt und gestellt hat, Sir?«
Sie konnte Charles nicht erkennen, da das Licht von hinten auf ihn fiel und sein Gesicht im Dunkeln lag, aber er sah sie sehr genau. Er musste sich räuspern. »Nein, das bin ich nicht. Ich bin so etwas wie sein Geschäftspartner.«
Er sah, wie sie kurz stutzte. Dann sagte sie: »Ich bitte um Ihre Hilfe, Sir. Mein Name ist Jessica O’Connor. Ich reiste auf einem amerikanischen Handelsschiff, das von Piraten überfallen wurde. Sie haben einen großen Teil der Waren an Bord genommen und mich verschleppt.«
»Meiner Hilfe können Sie sich
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