Die Sehnsucht Meines Bruders
du vor, du kleiner Wichser?“, brüllte ich und fasste mir unwillkürlich in die Hose, um dort alles zu richten, was sich in den Stoffalten verfangen hatte. „Willst du mir jetzt jeden Tag einen Ständer verpassen?“ „Soll ich dir helfen, es zu Ende zu bringen?“, erfrechte er sich doch tatsächlich vorzuschlagen. Ich wollte die Sache nicht wieder ausarten lassen, daher versuchte ich mit aller Macht, die Wut unter Kontrolle zu halten. „Hatten wir nicht vereinbart, dieses Thema zu vergessen? Zieh dich lieber an und kriech in den Schlafsack, bevor es kalt wird.“, sagte ich so gelassen wie möglich und entfernte mich ein kleines Stück vom Zelt, um mich wieder zu fangen.
Meine Erregung würde sich schon bald legen, sagte ich mir. War ja nur durch mechanische Reibung entstanden. Ich war natürlich selber Schuld, warum hatte ich ihn nicht einfach mitsamt seinem Sonnenbrand zur Hölle geschickt? Warum musste ich ihn auch noch an mich pressen? Selbst Schuld ... schön dumm ... verdammt, verdammt, verdammt! Und meine Erektion legte sich nicht.
* * *
Nun wird sich der geneigte Leser natürlich fragen, warum mir nicht auffiel, dass solche Reaktionen für meine Verhältnisse nicht normal waren. Warum ich mich nicht fragte, ob ich denn durch das reibende Hinterteil oder das Gewicht des Kopfes irgendeines anderen Menschen auch so geil geworden wäre – und wäre er noch so schön. Und natürlich, was die Tatsache bedeutete, dass James in letzter Zeit so überaus gut gelaunt war. Denn er dachte bestimmt über diese Dinge nach. Tja, ich war eben ein wirklicher Künstler im Selbstbescheißen.
Es war Nachmittag, als mir die ganze Sache endlich bewusst wurde. Wir hatten eine ganze Weile gebraucht, um den Einstieg in das Tal zu finden, das uns unserem Ziel näher bringen sollte. Dort ging es steil bergauf, der Weg war zwar nicht schwierig, aber ziemlich beschwerlich vor allem nach der elenden Kraxelei, die wir hinter uns hatten.
So trotteten wir meist schweigsam vor uns hin. Ich schwitzte und setzte wie in Trance einen Fuß vor den anderen. James schweren Atem, nur unterbrochen von seinen kurzen Flüchen, in meinem Rücken.
Und dabei ging mir plötzlich auf, dass ich diesen kleinen Wichser begehrte. Dass es eben nicht einfach nur die Reibung gewesen war. Ich sah ihn vor mir, seine ungezwungene Nacktheit am Eingang der Sauna. Sein schön geschwungenes Glied, von seinen feingliedrigen Fingern liebkost, in der Dusche, und immer wieder die weichen blonden Locken über der zarten Haut seines Nackens. Ganz deutlich nahm ich mit einemmal den wunderbaren Duft seiner Haut in der reinen Bergluft wahr. An den ich mich erinnerte, als wäre es vorhin erst gewesen, dass ich halb auf ihm liegend erwacht war.
Wandern ist die beste Art, sich über etwas klar zu werden, dachte ich zynisch, als ich den ersten Schreck überwunden hatte. Anscheinend war ich schwul, ohne es je gemerkt zu haben, denn nie hatte ich für einen Mann auch nur das geringste empfunden. Oder bi, dachte ich, bestimmt war ich bi. Ach verdammt, jetzt aus lauter Ratlosigkeit in dieses blöde Schubladendenken zu verfallen, war keine Lösung. Es war so, wie es war, und damit musste ich mich abfinden.
Ich hatte eben nicht viel Erfahrung mit zwischenmenschlichen Beziehungen, war allem aus dem Weg gegangen, bis ich Lisa kennenlernte. Ich wollte nicht wieder so verletzt zu werden, wie durch meinen Vater. Und nun musste ich mir eingestehen, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, was genau mit mir los war. Ich war noch nie im Leben so verwirrt gewesen.
James spürte das bestimmt schon die ganze Zeit. Vielleicht war er deshalb so fröhlich, seit ich auf ihm liegend erwacht war. Hatte er das alles geplant? Wusste er, dass er mich am Haken hatte, und mich dort nach Lust und Laune verhungern lassen konnte? Eine späte, aber süße Rache, das musste ich zugeben. Auch sehr verständlich, wenn man es mal so betrachtete. Ich hatte ihn schließlich immer ganz abscheulich behandelt – wegen Robert.
Dabei war James natürlich der Letzte, der an dieser Situation Schuld gewesen war. Das wusste ich zwar schon immer, es aber genauso lange verdrängte ich es erfolgreich. Ich machte mir voller Abscheu klar, dass ich nur jemanden brauchte, an dem ich meine Wut auslassen konnte. Was man doch für ein Bastard war, wenn man sich mal genauer betrachtete.
Trotzdem musste ich jetzt irgendwie mit dieser Situation zurecht kommen. Am besten, ich versuchte weiterhin so zu tun, als wäre nichts.
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