Die seidene Madonna - Roman
von den Webern im Vatikan hervorragend angelernt worden. Er arbeitete ausgezeichnet, und wegen seiner guten Beobachtungsgabe und überlegten Arbeitsweise durfte ihm Jacquou vermutlich bald viel Verantwortung übertragen. Er verfügte über mehr Fachkenntnisse als Mathias und entschied sich oft spontaner als Arnold, weshalb es ihm meist erstaunlich schnell und mühelos gelang, das Wesentliche an einer großen Arbeit zu erfassen. Damit sparten sie sich viel kostbare Zeit.
Florine erholte sich allmählich von ihrer Niederkunft. Aber sie überraschte Alix einige Monate später mit ihrer Entscheidung, zunächst nicht wieder in der Werkstatt arbeiten zu wollen. Sie hing nicht so an ihrem Beruf wie Arnaude und wollte sich wenigstens vorübergehend ganz um ihr Kind kümmern. Für einen Teil
von Arnaudes Lohn, den Jacquou erhöht hatte, betreute sie zusätzlich den kleinen Guillemin.
Pierrot lernte ziemlich schnell lesen und schreiben. Der Junge hörte aufmerksam zu, überlegte genau und war überhaupt von wachem Verstand. Gauthier, dem er bald ans Herz gewachsen war, hatte seinen Unterricht übernommen.
Seit einiger Zeit schlief er nicht mehr bei Amandine und Fougasse im Stall auf Stroh. Bertille hatte ihm eine Kammer in einem Anbau am Haus eingerichtet. In einem kleinen Raum nebenan konnte er sogar Feuer machen und kochen und essen, wenn er einmal Jacquous und Alix’ Zweisamkeit nicht stören wollte. Die Bertille ließ aber auch immer die Küchentür für ihn offen.
Sobald er ausreichend lesen und schreiben konnte, sollte er seine Lehre in der Werkstatt beginnen.
Und Alix, die ihre Reise nach Amboise plante - die Comtesse d’Angoulême hatte sie wieder eingeladen - und sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, hatte beschlossen, bei Julio Italienisch zu lernen. Dank Kardinal de Villiers, der ihm auch Arabisch beigebracht hatte, beherrschte Julio das Französische perfekt.
Und nach Italienisch und vielleicht Arabisch mussste sie unbedingt noch Spanisch lernen! Alix wollte möglichst viele Fremdsprachen lernen, weil sie damit einen beträchtlichen Vorteil den anderen Webern gegenüber hatte. Bestes Beispiel war Maître de Coëtivy, der auf Übersetzer angewiesen und wegen unklarer Angaben ständig mit seiner Arbeit im Verzug gewesen war.
Deshalb nahm sie die Sache mit wildem Eifer in Angriff.
Julio war ein sanfter und empfindsamer, aber auch sehr zielstrebiger junger Mann von ausgesuchter Höflichkeit, der sich kaum für Frauen interessierte. Seine religiöse Unterweisung hatte ihn stark geprägt, und Alix merkte manchmal, wie sehr ihm die Kirche fehlte. Immer wenn er länger abwesend war, hatte er sich
in der Kathedrale von Tours oder in einer anderen Kirche der Stadt aufgehalten.
Wie sich gezeigt hatte, war Jacquou längst nicht so ehrgeizig wie Alix. Deshalb hätte er sich bestimmt mit den wenigen großen Aufträgen zufrieden gegeben, die er aus Italien mitgebracht hatte, und sich erst nach deren Fertigstellung wieder auf die Suche nach neuen gemacht.
Aber Alix hatte ganz andere Pläne. Zwar freute sie sich auf ein Wiedersehen mit der Gräfin d’Angoulême und ihren Kindern, vergaß darüber aber keineswegs, für neue Arbeit zu sorgen. Louise hatte es ihr schließlich versprochen, und hatte der König nicht auch Jacquou bei ihrer Begegnung versichert, ihn nicht zu vergessen?
Anfang Mai begann sie mit ihren Reisevorbereitungen und sorgte für allgemeine Überraschung, als sie den Wunsch äußerte, eine anständige Kutsche mit zwei guten Pferden kaufen zu wollen.
»Aber was wird denn dann aus Amandine und Fougasse?«, fragte sie Jacquou erstaunt.
»Ach, mein herzallerliebster Jacquou! Soll ich etwa auf einem störrischen Maultier in das Schloss von Amboise reiten?«
Als ihr Mann nicht antwortete, fuhr sie begeistert fort:
»Du weißt doch außerdem, dass wir die Mulis für die kleineren Einkäufe für die Werkstatt brauchen. Und jeder von uns darf sie reiten.«
»Und wer soll das Gespann lenken? Du kannst nicht alles allein machen, Alix. Sei doch vernünftig!«, tadelte sie Jacquou, was mehr als ungewöhnlich war.
»Da hast du recht«, sagte Alix, »noch haben wir nicht die Mittel, um einen Kutscher zu bezahlen. Leider!«
»Ich kann aber einen Wagen lenken!«, rief der kleine Pierrot und kam angerannt.
»Nein, das kommt nicht in Frage«, wies ihn Alix zurecht. »Du musst hier bleiben und Florines Arbeit übernehmen. Und Arnaude kann auch nicht mehr all die kleinen Arbeiten erledigen. Da
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