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Die seidene Madonna - Roman

Die seidene Madonna - Roman

Titel: Die seidene Madonna - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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schließen. Sie zitterte vor Freude, und ihre alte Freundin war so gerührt und glücklich, wieder bei ihr zu sein, dass sie kein Wort herausbrachte.
    Arnold hatte sich sehr verändert, tiefe Sorgenfalten hatten sich in seine Stirn gegraben, und seine Augen strahlten nicht mehr so jugendlich wie früher. Der kleine Guillemin war sehr groß geworden. In den wenigen Monaten war er so gewachsen, dass er seiner Mutter mittlerweile bis zur Taille ging. Aber sein pausbäckiges Gesicht und seine fröhliche Miene hatte er behalten.

    Guillemin war ein vergnügtes Kind; das tat der Stimmung in dem Haus und der Werkstatt sehr gut, auf denen noch immer die Trauer der vergangenen düsteren Tage lastete.
    Mit der Zeit nahm in der Werkstatt von Alix alles wieder seinen gewohnten Gang, und das Grauen des heißen Sommers geriet ganz langsam in Vergessenheit. Man bemühte sich, wieder normal über Arbeit, Pläne und kleine Alltagsfreuden zu sprechen und freudig und zuversichtlich in die Zukunft zu blicken.
    Zuletzt kehrten Juan und Lisette zurück - Hand in Hand. Man sah ihnen sofort an, wie glücklich und verliebt sie waren. Die Pest hatte sie verschont, und sie gehörten zu den ganz wenigen Menschen, bei denen sie keine tiefen Wunden hinterlassen hatte. Sie wirkten fröhlich und unbeschwert; offenbar waren die Schrecken fast unbemerkt an ihnen vorübergegangen. In einem abgelegenen, kleinen Dorf mitten im Wald, das der Pest entgangen war, hatten sie geheiratet, und nur das zählte für sie.
    Alix konnte ihr Glück nur zu gut verstehen und seufzte traurig. Wie lange war es her, dass sich in ihrem Leben alles einzig und allein um den Tag gedreht hatte, an dem sie ihren Jacquou heiraten durfte? Für Juan und Lisette waren alltägliche Sorgen und Zwänge zurzeit in weite Ferne gerückt. Wie gut hatten die zwei daran getan, aus dieser verdammten Stadt zu fliehen!
    Die Gegenwart der beiden war ein Trost für Alix. Juan hatte sich seinen andalusischen Charme und seine samtschwarzen Augen bewahrt. Immer ein wenig ernst und streng, mit aufrechtem Oberkörper und das Kinn nach vorn gereckt, blieb er ganz der stolze Spanier.
    Und Lisette strahlte nur so vor Glück, und ihr seliger Blick ruhte immer wieder verstohlen auf ihrem Bauch. Als man sie allmählich fragend ansah, gestand sie mit einem unschuldigen Lächeln auf ihren schönen roten Lippen, dass sie ein Kind erwartete.
    Jeder ging also wieder an seinen Posten, und Frieden kehrte ein, wenn auch für Alix leider nicht in dem Maße wie für die anderen.
     
    Eines Morgens dann, als in der Werkstatt Hochbetrieb herrschte, auf jeden Webstuhl ein Teppich gespannt war und jede Hand ihre Arbeit erledigte, öffnete sich die Tür und Mathias trat ein. Julio hatte ihn schon vor dem Haus entdeckt und war in die Werkstatt zu Alix gelaufen mit Arnold und Pierrot im Schlepptau.
    Alle schwiegen betroffen und starrten ihn an. Nein, Mathias wirkte kein bisschen heiter, sondern vollkommen verzweifelt. Weil er abgemagert war, wirkte er noch größer als ohnehin, und seine strahlendblauen Augen zeigten nicht den Schimmer von Zuversicht. Sein dichtes rotes Haar, durch das er früher immer mit den Fingern gefahren war, um die rebellischen Locken zu bändigen, war struppiger denn je.
    Mathias stand da wie versteinert und schien nicht zu wissen, wohin mit sich. Als er seine lange Gestalt Alix zuwandte und ein gequältes Lächeln versuchte, stürzte sie sich laut schluchzend in seine Arme.
    »Ach, Mathias, ich habe so auf dich gewartet! Warum bist du erst jetzt gekommen? Du warst kaum mit Julio gegangen, als sich die Pest auch Jacquou geholt hat.«
    »Ich weiß, Alix. Aber ich konnte nicht zurückkommen, ich war dort wie angewurzelt, ohnmächtig, eigentlich schon tot. Jacquou bedeutete mir fast Trost in meiner Verzweiflung.«
    Er stieß einen tiefen Seufzer aus, so als suchte er nach seinem längst verloren gegangenen Atem.
    »Florine und er sind im selben Gemeinschaftsgrab beerdigt worden«, erzählter er mit tonloser Stimme. »Mehr als zwanzig Leichen haben wir dort begraben.«

    »Ja!«, sagte Alix leise. »Jetzt sind sie im Jenseits vereint.«
    »Dieses Grab verfolgt mich. Ich habe es ausgehoben. Ich habe nichts anderes gemacht als immer noch tiefer zu graben. Tiefer und tiefer! All die langen Tage, die ich bei den Mönchen von Saint-Pierre verbracht habe, konnte ich ihnen nur dabei helfen, immer neue Gräber für immer mehr Tote zu graben. Ich dachte an nichts anderes, und so habe ich irgendwie überlebt.

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