Die Seidenstickerin
gefasst und fuchtelte auch nicht mehr so mit den Armen herum.
»Wenn dieses junge Mädchen nichts stehlen will, warum sollten wir es dann nicht in unser Haus lassen?«, fragte sie jetzt ganz ruhig und wandte sich dann wieder an Alix.
»Wie heißt Ihr denn, meine Kleine? Mir scheint, Ihr seid noch sehr jung.«
»Ich heiße Alix und bin fünfzehn.«
Coëtivy, der Alix endlich losgelassen hatte, verpasste ihr daraufhin eine Ohrfeige, die zwar nicht besonders heftig war, sie aber immerhin erschrocken verstummen ließ.
»Jetzt ist es aber genug, Pierre!«, schrie nun Dame Bertrande. »Ich muss wohl annehmen, dass dieses Mädchen mir etwas zu sagen hat, was deine Ehre als treuer Ehemann in Frage stellt?«
»Oh nein, Dame Bertrande!«, rief Alix und rieb sich die leicht gerötete Backe. »Es ist wirklich nicht das, was Ihr denkt. Meister Coëtivy hat mich nicht angerührt, außer jetzt eben mit dieser Ohrfeige, die er mir übrigens zu Unrecht verpasst hat.«
»Worum geht es denn dann, meine Kleine? Hast du ihm vielleicht etwas getan? Erzähl es mir einfach, ich höre dir zu.«
»Ich habe ihm gar nichts getan. Seinem Sohn habe ich etwas getan. Ja, Dame Bertrande, und das gefällt ihm überhaupt nicht!«
»Seinem Sohn? Aber er hat keinen Sohn!«
Und wieder stürzte sich der Webermeister auf Alix, packte sie am Arm und schüttelte ihn wie einen Ast, von dem man die reifen Früchte holen will.
»Halt den Mund!«, brüllte er. »Halt den Mund, du Miststück!« »Seinem Sohn?«, sagte Dame Bertrande noch einmal. »Aber wer ist denn sein Sohn?«
»Jacquou«, antwortete Alix scheinbar ungerührt und erwiderte Coëtivys Blick jetzt ohne einen Funken Mitleid.
Dame Bertrande griff sich ans Herz und wurde bleich. Ihr Gatte wollte ihr zu Hilfe eilen, aber sie wies ihn kühl und entschlossen ab.
»Lass mich, Pierre. Du weißt schließlich am besten, dass dieses junge Ding die Wahrheit sagt.«
Und zu Alix gewandt sagte sie:
»Ja, mein Kind, ich glaube gerne, was ich eigentlich schon immer gewusst habe! Weil er aber nie etwas gesagt hat, habe ich mir etwas vorgemacht. Seit bald zwanzig Jahren mache ich mir jetzt schon etwas vor, und dabei habe ich Jacquou aufgezogen, als wäre er mein eigener Sohn.«
Sie trat zu Alix und nahm ihre Hand.
»Ich bin sehr froh, dass es hier nicht um eine Geschichte geht, bei der seine Ehre auf dem Spiel steht, meine Kleine. So etwas hätte ich nur sehr ungern gehört. Ja, ich wäre sehr verärgert gewesen, wenn ein junges Ding wie du die Ehre von Meister Coëtivy beschmutzt hätte.«
»Aha!«, machte Alix empört.
»Nein, keine Angst, ich hätte deine Offenherzigkeit, deine Unerfahrenheit und deine Phantasien entschuldigen und stattdessen meinem Gatten seinen Vertrauensmissbrauch, seine Schamlosigkeit und seine Geilheit vorwerfen können. Aber darum geht es ja nun zum Glück nicht. Jetzt möchte ich nur noch wissen, wer Jacquous Mutter ist. Ich bin sicher, ich werde auch das aus deinem Mund erfahren, Alix.«
Weil es Pierre de Coëtivy die Sprache verschlagen hatte, fuhr sie, immer noch an Alix gewandt, ruhig fort.
»Erst einmal will ich jetzt aber wissen, warum du mir unbedingt sagen wolltest, dass Jacquou sein Sohn ist.«
Alix atmete erleichtert auf und lächelte Dame Bertrande an. Sie ahnte, dass ihre Zukunft ab jetzt leichter und friedlicher würde.
»Als er acht Jahre alt war, hat es ihm seine Halbschwester in Gegenwart seines Meisters in der Kathedrale von Angers gesagt.«
»Wie kannst du so etwas behaupten?«, schrie der Webermeister. »Halt endlich den Mund, du dumme Göre!«
»Lass sie reden, Pierre, ich befehle es dir.«
Die Sorgenfalte auf Dame Bertrandes Stirn war längst verschwunden, und sie wirkte wieder so heiter wie gewohnt. An ihren Gatten gewandt, fragte sie ruhig und mit leiser Stimme:
»Diese Halbschwester ist also auch die Tochter von der Frau, die deine Geliebte war. Wie heißt diese Frau?«
»Léonore Cassex«, entfuhr es Alix.
»Léonore Cassex«, wiederholte Dame Bertrande nachdenklich und schüttelte den Kopf. »Diesen Namen habe ich noch nie gehört. Wo kam sie her?«
»Das weiß ich nicht«, gab Alix zur Antwort. »Jacquou konnte mir noch nicht alles darüber erzählen. Vielleicht weiß er es nicht einmal selbst. Vielleicht weiß er überhaupt viel weniger von seiner Mutter, als wir uns vorstellen können, weil ihm Meister Coëtivy wahrscheinlich nur das Nötigste gesagt hat.«
»Armes Ding«, murmelte Dame Bertrande und wischte sich eine Träne aus
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