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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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die Spritze in Bens Reichweite, auch wenn wir
     uns beide nicht eingestehen wollten, zu welchem Zweck. »Wieso hast
     du mir erzählt, du wärst Ros’ Neffe?«, fragte ich.
    »Es war wichtig, dass
     du mir vertraust.«
    Mehr als alles andere war es
     diese Lüge, durch die er mein Vertrauen verloren hatte, dachte ich.
    Er rang nach Luft. »Sie
     hat es selbst vorgeschlagen. Die anderen Dinge, die Athenaide gesagt hat -«
    Ich schüttelte den Kopf.
     »Das musst du nicht -«
    »Doch, ich muss.«
     Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er schien große Schmerzen
     zu haben. »Alles, was sie sagte, ist wahr. Der Angriff in Sierra
     Leone, die Toten, die Fragen … Aber die Fragen waren unbegründet,
     Kate. Glaubst du mir?«
    Ich hatte einen Kloß im
     Hals. »Es tut mir so leid«, flüsterte ich.
    Sein Blick wurde finster.
     »Was?«
    »Dass ich dachte, du wärst
     ein Mörder.«
    Erleichterung huschte über
     sein Gesicht. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Ich hatte auch
     den einen oder anderen Zweifel, was dich angeht.«
    »Wirklich?«
    »Nach Maxines Tod? Und
     Dr. Sandersons? Sicher. Aber Mrs Quigley konntest du nicht getötet
     haben.«
    »Ich habe dich für
     einen Mörder gehalten, und du bist trotzdem gekommen und hast mir das
     Leben gerettet.«
    »Noch nicht ganz«,
     sagte er. Das Gleiche hatte er in Boston am Charles River gesagt, doch es
     schien Jahre her zu sein. Er berührte meine Hand, und ich hielt sie
     fest. »Falls heute noch irgendjemand ein Leben rettet, dann bist du
     es, Frau Professor.«
    Was Menschen Übles tun,
     das überlebt sie, das Gute wird mit ihnen oft begraben. Ophelia hatte
     sich alle Mühe gegeben, den Spruch umzukehren. Und nun war es an mir.
     Ich hielt die Tränen zurück, drückte noch einmal Bens Hand, dann stand
     ich schnell auf und machte mich hastig auf den Weg durch die Höhle -
     andernfalls wäre ich nie gegangen. Ich brachte keinen Ton heraus.
    Auf der anderen Seite des
     frischen Erdrutschs spürte ich den leichten Luftzug wieder und
     arbeitete mich darauf zu. Am oberen Ende des Hangs war eine Lücke
     zwischen zwei Granitplatten. »Warte auf mich«, rief ich in die
     Dunkelheit, dann zwängte ich mich durch die Öffnung.
    Der Spalt stieg steil an, zum
     Teil fast senkrecht wie ein Kamin. Blind tastete ich nach Vorsprüngen,
     an denen ich mich hinaufstemmen konnte. Hin und wieder hörte ich von
     weit oben einen Schritt oder ein Ächzen; einmal regneten kleine
     Kiesel zu mir herab, und ich zog den Kopf ein in Erwartung einer
     neuerlichen Lawine. Doch die Sternchen sprangen an mir vorbei, und danach
     war es still.
    Einmal sah ich weit über
     mir den schwachen Schein von Sir Henrys Lampe. Ich hielt inne und wartete
     ein paar Minuten. Ich hatte keine Lust, aufzuholen, um erschossen zu
     werden.
    Mir taten die Arme von den
     Klimmzügen weh, und ich hatte Krämpfe in den Beinen, weil ich
     mich die ganze Zeit an der steilen Felswand abstützen musste. Im
     Dunkeln hatte ich keine Ahnung, wie weit ich gekommen war oder wie viel
     noch vor mir lag. Doch die Angst trieb mich weiter. Ich konnte den
     Gedanken nicht ertragen, dass Ben allein dort unten in der Dunkelheit lag
     und langsam sein Leben aushauchte.    
    Im Kopf ging ich immer wieder
     die Morde durch. Sir Henry hatte Ros im Theater getötet, dann hatte
     er das Gebäude in Brand gesteckt und Shakespeares Folio mitgenommen.
    Aber warum?
    Ich schauderte. In den
     Stunden und Tagen danach hatte er sich so liebevoll um mich gekümmert.
     Er war so fürsorglich gewesen.
    Du vergisst eins, meine
     Liebe. Ich bin Schauspieler.      
    Ich hatte das Gefühl,
     ich war seit Stunden unterwegs, als die Steigung endlich flacher wurde.
     Eine Weile saß ich erschöpft da, dankbar, Boden unter den Füßen
     zu haben. Doch ich hatte keine Zeit zum Ausruhen. Ich musste an die Oberfläche.
     Also stemmte ich mich hoch und kroch auf allen vieren weiter. Nach einem
     kurzen Stück machte der Gang eine Biegung, und ich wich blinzelnd zurück.
    Licht. Vorsichtig spähte
     ich um die Ecke. Ein paar Meter von mir entfernt sah ich eine gleißende
     Säule rotgoldenen Lichts. Ich starrte ins Helle und ließ meinen
     Augen Zeit, sich zu erinnern, was sie mit dem Licht anfangen sollten. Dann
     schlich ich auf Zehenspitzen weiter. Eine schmale Spalte führte in
     eine niedrige Höhle aus rotem Stein, die, nach dem zu urteilen, was
     ich draußen sah, in der Mitte der Felswand eines Canyons zu enden
     schien.
    Am Rand der

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