Die Shakespeare-Morde
die Spritze in Bens Reichweite, auch wenn wir
uns beide nicht eingestehen wollten, zu welchem Zweck. »Wieso hast
du mir erzählt, du wärst Ros’ Neffe?«, fragte ich.
»Es war wichtig, dass
du mir vertraust.«
Mehr als alles andere war es
diese Lüge, durch die er mein Vertrauen verloren hatte, dachte ich.
Er rang nach Luft. »Sie
hat es selbst vorgeschlagen. Die anderen Dinge, die Athenaide gesagt hat -«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das musst du nicht -«
»Doch, ich muss.«
Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er schien große Schmerzen
zu haben. »Alles, was sie sagte, ist wahr. Der Angriff in Sierra
Leone, die Toten, die Fragen … Aber die Fragen waren unbegründet,
Kate. Glaubst du mir?«
Ich hatte einen Kloß im
Hals. »Es tut mir so leid«, flüsterte ich.
Sein Blick wurde finster.
»Was?«
»Dass ich dachte, du wärst
ein Mörder.«
Erleichterung huschte über
sein Gesicht. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Ich hatte auch
den einen oder anderen Zweifel, was dich angeht.«
»Wirklich?«
»Nach Maxines Tod? Und
Dr. Sandersons? Sicher. Aber Mrs Quigley konntest du nicht getötet
haben.«
»Ich habe dich für
einen Mörder gehalten, und du bist trotzdem gekommen und hast mir das
Leben gerettet.«
»Noch nicht ganz«,
sagte er. Das Gleiche hatte er in Boston am Charles River gesagt, doch es
schien Jahre her zu sein. Er berührte meine Hand, und ich hielt sie
fest. »Falls heute noch irgendjemand ein Leben rettet, dann bist du
es, Frau Professor.«
Was Menschen Übles tun,
das überlebt sie, das Gute wird mit ihnen oft begraben. Ophelia hatte
sich alle Mühe gegeben, den Spruch umzukehren. Und nun war es an mir.
Ich hielt die Tränen zurück, drückte noch einmal Bens Hand, dann stand
ich schnell auf und machte mich hastig auf den Weg durch die Höhle -
andernfalls wäre ich nie gegangen. Ich brachte keinen Ton heraus.
Auf der anderen Seite des
frischen Erdrutschs spürte ich den leichten Luftzug wieder und
arbeitete mich darauf zu. Am oberen Ende des Hangs war eine Lücke
zwischen zwei Granitplatten. »Warte auf mich«, rief ich in die
Dunkelheit, dann zwängte ich mich durch die Öffnung.
Der Spalt stieg steil an, zum
Teil fast senkrecht wie ein Kamin. Blind tastete ich nach Vorsprüngen,
an denen ich mich hinaufstemmen konnte. Hin und wieder hörte ich von
weit oben einen Schritt oder ein Ächzen; einmal regneten kleine
Kiesel zu mir herab, und ich zog den Kopf ein in Erwartung einer
neuerlichen Lawine. Doch die Sternchen sprangen an mir vorbei, und danach
war es still.
Einmal sah ich weit über
mir den schwachen Schein von Sir Henrys Lampe. Ich hielt inne und wartete
ein paar Minuten. Ich hatte keine Lust, aufzuholen, um erschossen zu
werden.
Mir taten die Arme von den
Klimmzügen weh, und ich hatte Krämpfe in den Beinen, weil ich
mich die ganze Zeit an der steilen Felswand abstützen musste. Im
Dunkeln hatte ich keine Ahnung, wie weit ich gekommen war oder wie viel
noch vor mir lag. Doch die Angst trieb mich weiter. Ich konnte den
Gedanken nicht ertragen, dass Ben allein dort unten in der Dunkelheit lag
und langsam sein Leben aushauchte.
Im Kopf ging ich immer wieder
die Morde durch. Sir Henry hatte Ros im Theater getötet, dann hatte
er das Gebäude in Brand gesteckt und Shakespeares Folio mitgenommen.
Aber warum?
Ich schauderte. In den
Stunden und Tagen danach hatte er sich so liebevoll um mich gekümmert.
Er war so fürsorglich gewesen.
Du vergisst eins, meine
Liebe. Ich bin Schauspieler.
Ich hatte das Gefühl,
ich war seit Stunden unterwegs, als die Steigung endlich flacher wurde.
Eine Weile saß ich erschöpft da, dankbar, Boden unter den Füßen
zu haben. Doch ich hatte keine Zeit zum Ausruhen. Ich musste an die Oberfläche.
Also stemmte ich mich hoch und kroch auf allen vieren weiter. Nach einem
kurzen Stück machte der Gang eine Biegung, und ich wich blinzelnd zurück.
Licht. Vorsichtig spähte
ich um die Ecke. Ein paar Meter von mir entfernt sah ich eine gleißende
Säule rotgoldenen Lichts. Ich starrte ins Helle und ließ meinen
Augen Zeit, sich zu erinnern, was sie mit dem Licht anfangen sollten. Dann
schlich ich auf Zehenspitzen weiter. Eine schmale Spalte führte in
eine niedrige Höhle aus rotem Stein, die, nach dem zu urteilen, was
ich draußen sah, in der Mitte der Felswand eines Canyons zu enden
schien.
Am Rand der
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