Die Sherbrooke Braut
geflogen. Sie sprang Douglas auf den Rücken, ihre Beine umklammerten seine Hüften. Mit den Fäusten schlug sie auf seinen Kopf und schrie: »Laß ihn in Ruhe!«
Douglas fühlte seinen Kopf vibrieren und seine Ohren sausen. Sie riß ihm die Haare büschelweise aus und brüllte ihn weiter an. Die zweite Ehefrau, die kleinere, zog nun wie besessen an Melissande und riß sie von Douglas’ Rücken. Beide Frauen purzelten zu Boden, ein Knäuel von weißen Gewändern und fliegenden Mähnen.
Tony stand noch immer gekrümmt und versuchte, zu Atem zu kommen. Douglas hatte das Gefühl, keine Haare mehr auf
dem Kopf zu haben. Seine Kopfhaut pochte von Melissandes Angriff. Er stand da und musterte das Schlachtfeld. Das kleine Mädchen entwand sich Melissande, rappelte sich hoch und eilte zu ihm. Ihr Gesicht war blaß, ihre Augen weit aufgerissen. Zitternd und keuchend stand sie vor ihm.
Er verharrte starr wie eine Statue. Ihre Hand tastete von seiner Schulter zur Brust und seinen Arm entlang. Er bewegte sich nicht, sagte kein Wort. »Fehlt Ihnen etwas? Hat er Sie verletzt? Bitte, sagen Sie mir, ob Sie Schmerzen haben.« Ihre Fingerspitzen strichen leicht über seinen Unterkiefer.
Er zuckte zurück. »O, Verzeihung. Ist das die empfindliche Stelle? Es tut mir leid. Nein, es ist nicht gebrochen, aber er hat Sie sehr hart getroffen.«
Douglas schüttelte seinen Kopf, rührte sich aber nicht von der Stelle. Wozu sich bewegen oder etwas sagen? Ihre Hände setzten ihre Reise über seinen Körper fort, sie fingerte an ihm herum, klopfte ihn leicht ab. Noch ehe sie auf die Knie fiel, um seine Beine abzutasten, ergriff Douglas ihre Handgelenke und hielt sie vor ihrem Körper fest. Er schüttelte sie leicht, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen: »Mir geht es gut. Lassen Sie mich in Ruhe. Gehen Sie und befühlen ihn - Ihren anderen Ehemann.« Er sah über sie hinweg zu Melissande, die neben Tony stand. Ihr langes, schwarzes Haar verbarg ihr Gesicht wie ein samtweicher Vorhang. Ihre zarten Hände berührten Tonys Körper.
Douglas trat einen Schritt zurück und sah zur Tür. »Komm herein, Hollis«, sagte er ruhig.
Hollis trat würdevoll in die Höhle des Löwen. Sanft forderte er ihn auf: »Mylord, würden Sie mich bitte begleiten. Während die anderen Herrschaften sich umziehen, serviere ich Ihnen im Salon einen Cognac. Die anderen können sich gerne anschließen, wenn sie wollen. Kommen Sie, Mylord. So ist es recht, kommen Sie. Es wird alles gut werden.«
Douglas ließ sich wegführen. Er fühlte sich wie betäubt. Seine Kopfhaut vibrierte noch immer, und er hatte noch immer Ohrensausen. Melissande hatte kräftige Finger und noch kräf-
tigere Lungen. Er wollte jemand anderes sein, nicht Douglas Sherbrooke, denn dieser arme Kerl war eine Witzfigur. Er war ein Narr, ein Dummkopf, ein Esel, dem man die Haare vom Kopf riß und der seine Braut verloren hatte. Er hörte seine Stimme, doch sie war ihm fremd: »Hollis, dieses Mädchen hat Tony angesprungen. Warum hätte sie das tun sollen? Er sagte, er hätte sie geheiratet. Ich habe sie nie vorher gesehen. Warum sollte dieses Mädchen versuchen, mich zu retten?«
»Sorgen Sie sich jetzt nicht darum, Mylord«, kam Hollis beschwichtigende Stimme. »Seien Sie froh, daß sie versuchte, Sie zu schützen.«
»Mich schützen! Verdammt, sie sah aus wie eine Megäre, bereit, bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen.«
»Ja, Mylord, das entspricht ihr. Sie ist Ihre Frau, Mylord, und Ihre Gräfin. Sie hat hier die letzten zwei Tage gewohnt, und ich muß sagen, sie hat sich sehr gut eingefügt.«
Douglas erwiderte bestimmt: »Nein, sie ist nicht meine Frau. Das ist unmöglich. Ich sagte schon, ich habe sie nie zuvor gesehen. Melissande ist meine Frau. Sie habe ich wiedererkannt. Ich werde Tony umbringen für das, was er getan hat.« Douglas unterbrach seinen Redefluß und schaute über seine Schulter. »Meinst du, wenn ich dieses Mädchen hierbehielte, daß sie Tony für mich umbringen würde?«
»Sehr unwahrscheinlich, Mylord. Ihre Gewalttätigkeit wurde nur durch den Angriff auf Sie ausgelöst. Lord Rathmore ist überwältigt, und somit hat sie ihr Ziel erreicht. Kommen Sie nun. Am Morgen wird alles etwas anders aussehen.«
»Ich kann nicht im selben Bett mit diesem fremden Mädchen schlafen, Hollis. Ich bin ein Gentleman. Da du ihr erlaubtest, in mein Haus zu kommen, muß ich da nicht annehmen, daß sie eine mögliche Mätresse ist? Sagtest du nicht, daß sie bereits seit zwei Tagen
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