Die siebte Maske
beiwohnen. Es kam mir recht gespenstisch vor. Und der Mensch von der Milford-Versicherungsgesellschaft rieb sich immerzu erfreut die Hände und redete von Verzinsung und Prämiennachlaß und Zusatzklauseln –«
»Inklusive Selbstmordklausel?«
»Ja. Ich erinnere mich noch genau, wie er sagte, im Falle eines Selbstmordes während der ersten zwei Jahre nach Vertragsabschluß entfalle die Zahlung.«
»Lediglich die Prämien werden zurückerstattet«, warf Mike ein.
»Tatsächlich?« sagte sie stumpf. »Daran erinnere ich mich nicht mehr. Aber das mit dem Selbstmord fiel mir wieder ein – als ich Walter so vor mir sah, tot.« Sie preßte die Hand gegen den Mund. »Wie konnte ich mich nur so schrecklich verhalten. In jener Nacht habe ich mich in meiner ganzen Scheußlichkeit kennengelernt.«
Sanft entgegnete Mike: »Und heute abend – sind da nicht auch ein paar gute Seiten an Ihnen zum Vorschein gekommen?«
»Wieso?«
»Sie hätten einfach alles so laufen lassen können, wie es läuft, Mrs. Haven. Jetzt, nachdem man Tony Jerrick verhaftet hat, ist die Polizei überzeugter denn je, daß es sich um einen Mord handelt.«
Sie blickte ungläubig drein.
»Ja denken Sie denn, ich könnte zulassen, daß man ihn ins Gefängnis steckt? Oder noch Schlimmeres?«
»Es wäre möglich«, sagte Mike. »Für Geld sind die Menschen zu allem imstande. Und in Ihrem Fall handelt es sich sogar um sehr viel Geld.«
»Vor allem handelt es sich um ein Menschenleben, Mr. Karr«, versetzte Adrienne kühl. »Und ich kann nicht zulassen, daß –«
»Ich verstehe, Mrs. Haven, aber –« Mike zögerte.
»Aber?«
»Wenn Sie es nicht zulassen können, warum haben Sie dann der Polizei nicht gleich reinen Wein eingeschenkt? Über den Selbstmord? Gleich nachdem man Tony Jerrick festgenommen hatte?«
Sie sank im Sessel zusammen.
»Nein«, gab sie zu, »die Anständigkeit ist mir nicht leichtgefallen. Ich wollte einen Vorteil für mich behalten. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Ich hatte gehofft, Sie würden schlau genug sein, einen Weg zu finden, wie man
Tony retten kann – ohne daß ich auf das Geld verzichten muß.«
»Das hätte nie geklappt.«
»Nein«, sagte sie zerknirscht. »Das war wohl unmöglich. Aber ich habe gehofft und gebetet, daß es vielleicht doch möglich wäre.« Sie knallte das leere Glas auf den Tisch. »Verdammt noch mal! Warum mußte Tony ausgerechnet an jenem Abend meinen Mann besuchen?«
»Sagen Sie’s mir. Warum?«
Verbittert stieß sie hervor: »Das will ich Ihnen gern sagen. Weil Gott den Menschen gern einen Streich spielt. An jenem Abend hatte er’s auf mich abgesehen und auf Walter und auf Tony.«
»Ist das Ihre ganze Religion, Mrs. Haven? Daß Gott nichts Besseres zu tun hat, als uns Streiche zu spielen?«
»Ich habe es nicht sehr mit der Religion, Mr. Karr. Aber was davon in mir übrig ist, zwingt mich, das Richtige zu tun. Ich kann nicht anders – ich werde die Wahrheit sagen müssen.«
»Das wird Sie teuer zu stehen kommen.«
»Eine halbe Million, steuerfrei. Das hätte Sicherheit für den Rest meines Lebens bedeutet. Ich weiß nicht, inwieweit Sie über meinen Lebenslauf Bescheid wissen, Mr. Karr. Eines Tages, wenn Sie mich besser kennen, werde ich Ihnen ein paar Geschichten erzählen. Zum Beispiel – können Sie sich vorstellen, daß ein Mädchen mitten in New York verhungert?«
»Verhungert?«
»Buchstäblich«, sagte Adrienne. Ihre Augen waren starr. Sie schaute ins Leere.
»Fühlen Sie sich nicht wohl?«
»Mir – ich – nein, nicht sehr wohl.«
»Kann ich etwas für Sie tun?«
»Nein, ich weiß schon, was ich brauche …«
»Ihre Pillen?«
»Ja.« Sie lächelte. »Meine Pillen.«
»Wo sind sie?«
»Bemühen Sie sich nicht. Ich werde sie später einnehmen.«
»Und das macht nichts?«
»Bestimmt nicht.« Sie faltete die Hände auf dem Schoß und schaute ihm direkt ins Gesicht. »Jetzt müssen Sie mir sagen, was ich tun soll, Mr. Karr. Es dreht sich nicht mehr um Tony. Es dreht sich um mich. Ich möchte Sie als Rechtsanwalt gewinnen. In gewissem Sinne habe ich mich vermutlich eines Verbrechens schuldig gemacht. Ich werde einen Anwalt brauchen, glauben Sie nicht?«
»Man könnte in der Tat ein Verbrechen feststellen, Mrs. Haven«, sagte Mike vorsichtig. »Und zwar Betrug. Aber offen gestanden, ich glaube, die Leute von der MilfordLebensversicherungsgesellschaft werden so erleichtert sein, daß sie mit sich reden lassen und nicht auch noch auf einer Strafverfolgung bestehen
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