Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
fränkische Handelsmetropole hatte den Jungen vom Land schon tief beeindruckt, aber dies hier, dies musste der Nabel der Welt sein!
Die Gasse, die Ezzo schließlich vom Marktplatz aus nahm, stieg leicht an, und er hoffte, dass sie ihn hinauf zur Burg führen würde. Dorthin, wo der König Hof hielt, wo seine Ritter und Lehnsleute ihn umgaben, wo glorreiche Feste und Turniere stattfanden. Doch zunächst gelangte Ezzo nur zu einer riesigen Baustelle. Hunderte von Arbeitern waren gerade dabei, einen tiefen Halsgraben auszuheben; hinter dem aufgetürmten Erdwall erhoben sich hölzerne Gerüste, Kräne schwenkten ihre Lasten herum. Eine massige Mauer war schon zur Hälfte hochgezogen, die ersten Stockwerke eines unfertigen Turms ragten auf. Offensichtlich ließ Sigismund oder Zsigmond, wie sie ihn hier in Ungarn nannten, seine Wehranlagen verstärken. Als Ezzo weiterritt, bot sich ihm im Innern der Befestigung ein ähnlicher Anblick: Neue Gebäude wurden errichtet, Dächer gedeckt, überall wurde gebaut, verstärkt, erhöht. Sigismund, das war deutlich, plante den Ausbau der Budaer Residenz zur größten Burg seiner Zeit. Allein diese Tatsache warf schon ein Licht auf sein Selbstverständnis als Herrscher.
Ezzo lenkte seinen Rappen vorsichtig mitten durch das geschäftige Treiben. Bis hierher hatte er es geschafft, ohne von Wächtern aufgehalten zu werden, doch ins Innere der Burg, dort, wo der königliche Wohnbereich lag, würde er nicht so einfach vorgelassen werden. Suchend sah er sich um. Da drüben, hinter einer Zugbrücke, lag das Tor, das er passieren musste, um zum König vorzudringen. Und wie nicht anders zu erwarten, war es von zwei Bankriesen in voller Bewaffnung flankiert. Ezzo rückte seine Kappe zurecht, strähnte sein Haar mit den Fingern – lang war es geworden! – und klopfte sich den Staub aus den Kleidern. Ein wenig mulmig war ihm schon zumute, aber dann fasste er sich ein Herz und ritt geradewegs auf die Wachen zu.
Die beiden Landsknechte kreuzten ihre Hellebarden, sobald sie ihn kommen sahen. Ruhig zügelte er sein Pferd und grüßte. Aus einer kleinen Schlupfpforte im Innern des Tordurchgangs trat der Torwart, ein kräftig gebauter Glatzkopf mit einer Nase, die nicht nur einmal gebrochen war. Er lächelte und entblößte dabei eine Reihe gelbfleckiger Zähne. »Jó napot kivánok!«, grüßte er auf Ungarisch.
Als Ezzo verwirrt dreinblickte, fuhr er auf Deutsch fort. »Wer seid Ihr, Fremder, und wohin des Wegs, wenn man fragen darf?«
Ezzo war froh, sich mit dem Mann verständigen zu können. Nur jetzt nicht unsicher wirken, dachte er. »Ezzo von Riedern, auf dem Weg zu Seiner Majestät«, erwiderte er laut.
Der Torwart schob die Unterlippe vor. Merkwürdiger Adeliger, das. Sah recht heruntergekommen aus, die Kleider schmutzig und verschlissen, außerdem völlig aus der Mode. Dazu auch noch keine Waffen und das Haar ungepflegt wie ein Bauer. Auf dem Weg zu Seiner Majestät, ei freilich! Andererseits ritt der Bursche ein edles Ross, zwar ein bisschen struppig vom Alter, aber eindeutig ein wertvoller Turnierhengst. Auf der Schabracke war ein Wappen eingestickt, eines, das er noch nie gesehen hatte: Eine rote Kanne auf silbernem Grund, soso. Nun, schließlich konnte er nicht jedes Wappen im Kopf haben, das wäre schon ein bisschen viel verlangt. Mit langsamen Schritten ging der Glatzkopf um Ross und Reiter herum, kratzte sich am Kinn und überlegte. Dann entdeckte er erst den Falken, und das gab den Ausschlag. Nur wer von Adel war, besaß einen solch kostbaren Jagdvogel; niemand sonst wäre so übergeschnappt, einen Ger mit sich herumzuschleppen. »Tessék!« Der Kahle machte eine knappe Verbeugung und gab den Bankriesen einen Wink, worauf sie ihre Hellebarden senkrecht stellten. Ezzo atmete auf, dann schnalzte er mit der Zunge und schon war er im Schlund des Inneren Tors verschwunden.
Vor dem Palas herrschte geschäftiges Treiben. Mägde schleppten Wasser, in einem Bottich brühte der Fleischhauer gerade eine frisch geschlachtete Sau. Kinder lärmten und jagten aufgeregt gackernde Hühner um einen dampfenden Misthaufen. Zwei Weinfuhren wurden entladen, mit lautem Kollern rollten die Fässer eine Rampe in den Keller hinunter. Der Schmied beschlug mit schwerem Hammer ein Pferd und fluchte, weil es nach ihm trat. Irgendwo lachte laut eine Frau. Ezzo fühlte sich schmerzhaft an sein Zuhause in Riedern erinnert, nur dass hier alles viel größer war. Unter einem Säulengang bemerkte er etliche
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