Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick deWitt
Vom Netzwerk:
kann keine andere geben. Doch sie ist in einem Maße riskant, dass ihre Folgen kaum abschätzbar sind. Ich kann mich mit niemandem beraten außer mit mir selbst, und das macht mir zu schaffen. Ich bin aufs Äußerste angespannt.
    ★ Ich habe in der Nacht fast kein Auge zugetan. Doch als Warm an diesem Morgen zu mir kam, war es entschieden, und ich schlug ein. Ja! Ja, ich werde mich an dieser Expedition zum Leuchtenden Fluss beteiligen. Ich bin von Warms Genie überzeugt, und auch wenn es mir schwerfällt, meinen Posten zu verlassen, so werde ich diesmal meinem Herzen folgen und als freier Mensch handeln. Denn wozu lebe ich eigentlich? Ich kann nur mit Beschämung auf meine Vergangenheit blicken. Immer nur wurde ich geknechtet und kujoniert. Aber das ist vorbei. Ich lasse mich nicht länger knechten und kujonieren. Heute wurde ich als freier Mensch geboren, und auf mich wartet ein Leben, das nur mir allein gehört. Von jetzt an wird alles anders.

Erst sprach niemand von uns ein Wort, denn wir mussten diese eigenartige Geschichte erst verdauen. Ich ging zum Esstisch und strich mit dem Finger über die Tischplatte. Es lagen noch ein paar Krümel Erde darauf. Ich zeigte Charlie meine zitternde Hand, und er warf das Tagebuch weg und sagte: »Schon gut, ich glaube es auch so. Die Geschichte stimmt. Jetzt verstehe ich auch, was der Kommodore gemeint hat, als er sagte, bevor wir Warm umlegen, sollten wir von ihm noch die Formel holen, notfalls mit Gewalt. Die Formel, das waren seine Worte. Das also steckt dahinter. Mir selbst wollte er es nicht sagen. Warm wüsste schon Bescheid, sagte er. Und mich ginge es nichts an. Außer dass ich die Formel mit meinem Leben zu schützen habe.«
    »Und warum haben wir nicht vorher darüber gesprochen?«
    »Ich durfte nicht. Und du hättest sowieso nichts damit anfangen können. Außerdem drückte er sich so vage aus, dass ich selber nicht weiter darüber nachdachte. Die Befehle des Kommodore sind oft mysteriös. Erinnerst du dich an unseren vorletzten Auftrag, als wir den Mann erst blenden sollten, ehe wir ihn erledigen.«
    »Der Kommodore hat das so bestimmt?«
    Charlie nickte. »Der Kommodore sagte, der Mann würde es schon verstehen. Ich sollte ihn, wie er es nannte, eine Weile im Dunkeln sitzen lassen, ehe er eine Kugel verpasst kriegt. Die Sache mit der Formel hörte sich so ähnlich an.« Er stand vom Bett auf und trat ans Fenster, wobei er die Hände im Rücken gefaltet hatte und den Hügel hochsah. Mehr als eine Minute dauerte sein Schweigen, dann sagte er leise und ungewöhnlich ernst: »Bruderherz, ich hatte nie Probleme, die Feinde des Kommodore auszuschalten, denn auf die eine oder andere Art waren es immer widerliche Schläger aus der zweiten Reihe, die selber keine Gnade kennen, wenn es um den kleinsten Vorteil geht. Aber mir gefällt es nicht, jemanden umzulegen, nur weil er eine geniale Idee hatte.«
    »Mir auch nicht. Ich bin froh, dass du es so siehst.«
    Er seufzte. »Und was sollen wir jetzt tun?«
    »Sag du zuerst.«
    Aber das wusste keiner von uns.

Das Black Skull war exakt so, wie Morris es beschrieben hatte. Eine Bruchbude aus Holz und Blech in einer schmalen Gasse, welche den Eindruck erweckte, als würde sie von den umgebenden Steinhäusern langsam erdrückt. Die Inneneinrichtung rundete das miese Bild ab: zusammengewürfelte Stühle und Tische, eine Küche, in der noch nie etwas gekocht worden war, das man essen wollte, zumal sich der Qualm aus dem undichten Kaminrohr des Herds bis in den Gastraum verbreitete. Wir betraten den Laden ohne Appetit und bekamen auch keinen. Schwer hing der Geruch von Pferdefleisch in der Luft. Der Mensch mit der Augenklappe aus dem Tagebuch stand in der Ecke, zusammen mit einer bildhübschen, hochgewachsenen Frau in einem hellgrünen, ärmellosen Kleid. Die beiden waren in irgendein Spiel vertieft und merkten gar nicht, dass wir uns direkt neben ihnen postiert hatten.
    Beim Anblick der Frau verschlug es einem die Sprache, wobei das Kleid noch das Wenigste war. Ihre Arme waren so ebenmäßig, dass man sie unwillkürlich berühren wollte. Auch ihr Gesicht war außergewöhnlich schön mit ihrem indischen Profil und den grünen Augen, deren Blick geradewegs durch mich hindurchging und mit seiner kalten Macht mein Innerstes gefrieren ließ, sodass ich am liebsten Deckung gesucht hätte. Der Wirt sah uns kurz an und nickte, ehe er sich wieder dem Spiel zuwandte, das ich hier kurz beschreiben möchte.
    Es ging so: Die Frau streckte die

Weitere Kostenlose Bücher