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Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Titel: Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sloan
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anderen; sie ist auf wendiger gearbeitet, der schwarze Stoff hat um den Hals herum zahlreiche Falten und an den Ärmeln entlang rote Schlitze. Sie hängt an seinen Schultern, als habe er sie sich gerade erst übergeworfen; darunter schaut ein glänzender grauer Anzug hervor.
    Er kommt schnurstracks auf uns zu.
    »Mr. Penumbra«, flüstere ich, »ich glaube, es wäre vielleicht besser –«
    »Penumbra«, tönt die Gestalt. Ihre Stimme ist nicht laut, schallt aber tief und getragen durch den Raum. »Penumbra«, sagt er wieder und nähert sich mit forschem Schritt. Er ist alt – nicht ganz so alt wie Penumbra, aber annähernd. Allerdings ist er viel robuster. Er geht weder gebückt, noch wankt er, und ich vermute, dass sich unter diesem Anzug kräftige Brustmuskeln verbergen. Sein Kopf ist komplett kahl gescho ren, und er trägt einen dunklen, sauber gestutzten Schnurrbart: Nosferatu in Gestalt eines Marinekorps-Sergeants.
    Und jetzt erkenne ich ihn. Es ist der Mann auf dem Foto mit dem jungen Penumbra, der stämmige Jüngling, der vor der Golden Gate Bridge den Daumen hochstreckt. Es ist Penumbras Chef, der Mann, der dafür sorgt, dass in der Buchhandlung das Licht brennt, der Geschäftsführer der großzügigen Festina Lente Company. Das hier ist Corvina.
    Penumbra erhebt sich aus seinem Stuhl. »Darf ich dir drei junge Ungebundene aus San Fancisco vorstellen«, sagt er. Zu uns: »Das ist unser Erster Leser und Mäzen.« Plötzlich gibt er den beflissenen Untergebenen. Er schauspielert.
    Corvina betrachtet uns kühl und prüfend. Seine Augen glitzern dunkel – in ihnen liegt eine grimmige, herausfordernde Intelligenz. Er schaut Neel direkt an, überlegt kurz und sagt dann: »Sag mir, welches Werk von Aristoteles hat der Gründer als Erstes gedruckt?« Die Frage klingt sanft, aber unerbittlich, jedes Wort eine Kugel aus einer schallgedämpften Pistole.
    Neels Gesichtsausdruck ist leer. Es folgt ein ungemütliches Schweigen.
    Corvina verschränkt die Arme und wendet sich Kat zu: »Nun, was meinst du? Irgendeine Idee?«
    Kats Finger zucken, als würde sie die Antwort gern auf ihrem Smartphone nachschauen.
    »Ajax, da kommt einiges an Arbeit auf dich zu«, sagt Corvina, jetzt an Penumbra gewandt. Er spricht immer noch leise. »Sie sollten in der Lage sein, das ganze Korpus zu rezitieren. Sie sollten es rückwärts aufsagen können, im griechischen Original.«
    Ich würde ihm dafür einen bösen Blick zuwerfen, wäre mir nicht ganz schwindlig von der Enthüllung, dass Penumbra einen Vornamen hat, und zwar –
    »Sie sind noch Anfänger«, sagt Ajax Penumbra seufzend. Corvina überragt ihn um einige Zentimeter, und er bemüht sich leicht schwankend, sich mehr aufzurichten. Die großen blauen Augen schweifen durch den Raum, und er macht ein skeptisches Gesicht. »Ich hatte gehofft, sie durch eine Besichtigung dieses Ortes inspirieren zu können, aber die Ketten sind ein bisschen zu viel des Guten. Ich weiß wirklich nicht, ob sie dem Geist des –«
    »Wir gehen hier nicht ganz so nachlässig mit unseren Büchern um, Ajax«, unterbricht ihn Corvina. »Hier gehen sie nicht verloren.«
    »Oh, ein Logbuch kann man schwerlich mit dem Codex Vitae des Gründers vergleichen, und es ist auch nicht verloren gegangen. Dir ist jeder Anlass recht –«
    »Weil du ständig einen lieferst«, sagt Corvina kühl. Seine Stimme klingt nüchtern, aber sie hallt durch den Raum. Im Lesesaal herrscht jetzt Stille. Keine der Schwarzroben spricht oder bewegt sich; möglicherweise wird nicht einmal ge atmet.
    Corvina verschränkt die Hände hinter dem Rücken – eine typische Lehrerpose. »Ajax. Ich bin froh, dass du noch einmal zurückgekommen bist, denn ich habe meine Entscheidung gefällt, und ich wollte sie dir persönlich mitteilen.« Eine Pause und eine fürsorgliche Neigung des Kopfs. »Es ist an der Zeit, dass du nach New York zurückkehrst.«
    Penumbra blinzelt. »Ich muss mich um meinen Laden kümmern.«
    »Nein. Er kann nicht weitergeführt werden«, sagt Corvina kopfschüttelnd. »Nicht, solange lauter Bücher darin stehen, die nichts mit unserer Arbeit zu tun haben. Nicht, solange es darin von Leuten wimmelt, die nichts über die Verantwortung wissen, die wir tragen.«
    Naja, also wimmeln würde ich es jetzt nicht nennen.
    Penumbra ist verstummt; er hat den Blick gesenkt und die Stirn in tiefe Falten gelegt. Sein graues Haar steht rings um seinen Kopf ab wie eine Wolke aus abschweifenden Gedanken. Würde er es abrasieren,

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