Die Sonnwendherrin
Kräutertrank kommen lassen und dass Ihr seit heute Morgen nichts mehr gegessen hättet. Sie sagte, ich solle Euch abfangen, weil Ihr sicherlich Euren Trank noch holen würdet, und dann solle ich Euch eine Schüssel Borschtsch geben. Sie |80| sagte, es sei nicht gut für Euch, nichts zu essen, weil Ihr ja wichtige Aufgaben für uns alle zu erfüllen habt, und Ihr seid ohnehin schon so dünn
..
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« Sie unterbrach ihren Redeschwall. Ihr Instinkt als Bedienstete sagte ihr, dass sie wohl zu weit ging.
Praskowja. Ich hätte wissen müssen, dass sie meine Abwesenheit bemerken würde. Sie wusste von meinen gelegentlichen Abenteuern, und sie kritisierte mich nie, solange ich gut versorgt war. Ich hätte nach meinem Kräutertrank senden sollen, bevor ich mich auf Männerjagd begab. War ich tatsächlich noch so durcheinander von meiner Begegnung diesen Nachmittag?
Mit einem Mal war ich sehr müde. Ich hatte keine Energie mehr, in den anderen Küchenraum zu gehen und heißes Wasser auf meine Kräuter zu gießen. Ich hatte keine Energie mehr, die Steinstufen zum Ostturm hinaufzusteigen. Plötzlich sehnte ich mich danach, diese mollige Frau mit dem freundlichen Gesicht für mich sorgen zu lassen.
»Also gut«, sagte ich und reichte ihr den Krug mit den getrockneten Kräutern. »Du kannst mir gleich den Kräutertrank aufgießen. Und ich werde ein bisschen Borschtsch essen.«
Ich schritt an der völlig überraschten Küchenhilfe vorüber und sank auf die Steinbank auf der anderen Seite des Tisches von Pavel. Der Stallbursche verschluckte sich beinahe an seinem Brot. Seine fleischigen Hände umklammerten die Suppenschüssel, und trotz seiner Körpergröße wirkte er erneut ziemlich klein.
»Entspann dich, Pavel«, sagte ich lächelnd. »Ich beiße schon nicht.«
»Ist recht, Herrin«, murmelte er und beendete hastig seine Mahlzeit.
Der Borschtsch war köstlich. Niemand außer unserer Köchin brachte diese tiefrote Färbung zuwege, die sich, wenn |81| man die saure Sahne einrührte, in ein goldenes Orange veränderte. Zwischen den Gemüsescheiben hingen winzige glänzende Öltröpfchen. Mein Borschtsch wurde ohne Fleisch zubereitet, war aber dennoch nahrhaft genug, um meine Kräfte wiederherzustellen. Als ich mit der großen Schüssel fertig war, die Klava vor mich hingestellt hatte, spülte ich alles mit meinem aromatischen Kräutertrank hinunter. Ich spürte, wie meine Erschöpfung sich zu normaler Müdigkeit wandelte, wie sie ein ehrlicher Arbeiter am Ende eines langen Tages verspürt. Rasch begab ich mich zurück in meine Gemächer und schlief ein, sobald mein Kopf das Kissen berührte.
|82| Iwan
Er hatte die Worte wie durch einen Schleier hindurch wahrgenommen, während er krank dalag. Er wusste nicht einmal, ob sie real waren oder nicht. Einfach zwei Stimmen, die sich unterhielten.
»Du hast dein Gefühl dafür nicht verloren, alter Mann« , sagte die raue Stimme, bei deren tiefem, vibrierendem Klang sich einem Zuhörer die Nackenhärchen gesträubt hätten. Das Raue darin schien nur vorhanden zu sein, um die Macht ein wenig zu mindern, die diese Stimme ausstrahlte. Einen kurzen Augenblick lang hatte die Stimme einen erfreuten Klang.
»Glaubst du wirklich, dass er derjenige ist?« , fragte die andere, gewöhnlichere Stimme zurück.
Die raue Stimme wandelte sich zu einem Grollen. »Es gibt nicht ›denjenigen‹. Die Menschen erfinden solche Geschichten, um ihrer miserablen Existenz ein Ziel zu geben.«
»Warum dann gerade er?« , beharrte die andere Stimme.
Eine Pause entstand. Dann sagte wiederum die raue Stimme: »Ich spüre die Kraft in ihm. Der Blick seiner Augen...«
»Aber er ist nur ein Junge« , widersprach die andere. Jetzt lagen noch andere Schwingungen im Tonfall. Iwan wurde bewusst, dass auch diese Stimme keineswegs gewöhnlich war. Es erschien nur so, gemessen an der Macht, die die Stimme seines Gesprächspartners ausstrahlte. »Er kann noch nicht einmal kämpfen« , fuhr die Stimme fort.
»Trotzdem! In der Vergangenheit hat es viele Kämpfer gegeben. Und wohin hat sie die ganze Kämpferei gebracht?«
»Aber dieser hier – er ist fast noch ein Kind!«
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»Genau. Hast du richtig in seine Augen geblickt? Wirklich tief? Er hat vor nichts Angst!«
Wieder entstand eine Pause. Dann sagte die andere Stimme: »Und du glaubst, das reicht aus?«
Diesmal wurde aus dem Grollen fast schon Gebrüll. Iwan hatte sich bemüht, die Augen zu öffnen, um zu erkennen, wer da sprach. Doch er war unfähig, sich
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