Die Sonnwendherrin
daran!«
Meine Stimme kehrte zurück, schwach wie ein Hauch. »Das werde ich, Vater«, sagte ich. »Das werde ich.«
|157| Iwan
Iwans Gedanken überschlugen sich.
Du musst das Sprechen allein übernehmen
, hatte der Wolf gesagt. Doch er hatte nichts davon erwähnt, dass er gar nicht dabei sein würde. Er war weise, mächtig und uralt. Eigentlich hätte er Iwan beschützen sollen, oder?
»Vor einem Augenblick war mein Freund noch da«, sagte er. »Sicher ist er gleich zurück. Wir sind zusammen unterwegs.«
»Dein Freund ist wirklich schlauer als du«, stellte Baba Jaga fest. »Er ist weggelaufen, als er sah, dass du aus Versehen meiner Hütte über den Weg gelaufen bist. Du musstest allein hier bleiben und mit mir reden. So lernt man seine Reisegefährten kennen, nicht wahr?«
Allerdings lernt man sie auf diese Weise kennen
, dachte Iwan. »Wir sind nicht zufällig vorbeigekommen«, berichtete er. »Wir haben dich gesucht!«
»Was, tatsächlich?« In den gelben Augen leuchtete ein Funken Interesse auf. »Wieso denn das?«
Iwan holte tief Luft. Er hatte nichts zu verlieren. »Ich schätze mal, wenn du mich isst, wirst du es nie erfahren!«, sagte er und blickte ihr in die Augen.
Sie sah ihn nachdenklich an. »Oh, nein!«, wandte sie ein. »Mit mir treibst du dieses Spielchen nicht! Du erzählst mir alles, und dann ab in den Kochtopf mit dir, Junge!«
Iwan lächelte. »Ich will mich nicht mit dir streiten, altes Mütterchen«, sagte er. »Lass mich zuerst einmal dein Haus aufräumen, ja? Es ist traurig, eine alte Frau wie dich hier ganz |158| allein verkommen zu sehen, weil sie niemanden hat, der ihr im Hause hilft. Ich putze und repariere die Tür, und wenn dann mein Freund noch nicht mit ein paar Kaninchen aufgetaucht ist, kannst du mich immer noch essen, oder?«
»Ich glaube«, antwortete sie, »ein wenig zu warten, kann nicht schaden. Falls du wirklich absichtlich hergekommen bist, dürftest du auch wissen, dass du von hier nicht entkommen kannst, falls ich dich nicht lasse.«
»Natürlich weiß ich das, altes Mütterchen«, bestätigte er.
In der Nähe floss ein kleiner Bach, und es fiel ihm nicht schwer, das Haus zu überreden, zum Ufer hinüberzustelzen. Dicke Schilfblätter, die dort wuchsen, gaben gute Putzlumpen ab, und so war Iwan bald intensiv mit Schrubben, Auswaschen und Flicken beschäftigt. Es gefiel ihm, gute Arbeit zu leisten. Und er hatte die Wahrheit gesagt: Nachdem er gesehen hatte, wie die Baba Jaga in der Erzählung des Katers wegen eines wieder zum Leben erweckten Kriegers geweint hatte, konnte er nicht mehr glauben, dass sie böse sei. Lediglich einsam und vernachlässigt.
Wo war nur der Wolf abgeblieben?
Ein wenig bachaufwärts entdeckte er Flachs, der dort seine kleinen blauen Blüten zeigte, und so verwob er ein Bündel der zähen Stängel zu einem Seil. Er wusste, wie man eine einfache Kaninchenfalle anlegt. Er hatte das manchmal mit seinen Brüdern zusammen im Garten ihres Schlosses getan. Wassili hatte immer behauptet, ein echter Mann müsse sich selbst ernähren können und sich nicht ständig nur auf seine Diener verlassen. Klein-Iwan taten die pelzigen Kaninchen mit ihren verängstigten Knopfaugen leid, aber er glaubte seinem klugen älteren Bruder jedes Wort.
Er hatte Wassili bewundert. Bis zu jenem Tag, als er zufällig gehört hatte, wie sein Bruder ihrem Vater berichtet hatte, dass er – Iwan – einen Bullen mit einem Hengst verwechselt und sich verletzt habe, als er auf dem wütenden Tier geritten |159| war. In Wirklichkeit hatte Wassili Iwan herausgefordert, den Bullen zu reiten, derselbe Wassili, der ihn anschließend vor Vater deshalb verspottete. Er hatte den jüngsten Zarewitsch zu einem Narren gemacht. Wassili hatte wohl geglaubt, Iwan sei zu schwer verletzt, um aufzustehen und an Vaters Tür zu lauschen.
Seit jenem Tag hatte Iwan seine Brüder anders gesehen. Aber er erinnerte sich auch an alles, was ihm Wassili beigebracht hatte. Einschließlich dessen, wie man Kaninchen fängt. Bei seinen Reisen war das in dem einen oder anderen Fall recht nützlich gewesen.
Er legte die Falle in den Büschen auf der anderen Seite des Baches aus und fuhr dann fort, den Kochkessel mit Sand auszureiben. Die Wände begannen bereits zu glänzen, als er das Zappeln eines gefangenen Tieres in der Falle vernahm. Und als er schließlich mit dem Saubermachen fertig war, lagen sechs Kaninchen auf dem Gras neben dem Haus. Er häutete sie mit seinem Messer, tranchierte sie und
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