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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
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Nervensystems vor, die den Wandel im Nistverhalten von Eiche zu Kiefer umsetzen. Ultimate Ursache dafür ist ein Selektionsdruck aus der Umwelt: Eichen sterben ab und werden durch Kiefern ersetzt, so dass das mutierte Allel b einen Vorteil über das zunächst vorherrschende Allel a erhält. Letztlich verursacht also der Prozess der natürlichen Selektion den Wechsel der Gesamtpopulation von Allel a zu Allel b .
    Proximate und ultimate Kausalitäten werden im Einzelfall leicht verwechselt, ganz besonders in dem komplexen Multilevel-Prozess der menschlichen Evolution. Häufig lesen wir zum Beispiel, dass die evolutionäre Zunahme der menschlichen Intelligenz durch die Erfindung des kontrollierten Feuers verursacht wurde, durch den Übergang zur Zweibeinigkeit, durch die Praxis der Ausdauerjagd und so weiter, und das jeweils als einzelner Grund oder in Kombination miteinander. Natürlich waren diese Innovationen Meilensteine der menschlichen Evolution, aber primäre Auslöser waren sie nicht. Es waren erste Schritte auf dem Weg zum heutigen hoch entwickelten menschlichen Sozialverhalten. So wie dauerhafte Nester und die progressive Verproviantierung einige Insektenarten im Lauf ihrer Evolution in Reichweite der Eusozialität brachten, war auch hier jeder Schritt eine eigenständige Anpassung mit ihren eigenen ultimaten und proximaten Kausalitäten. In einem letzten Schritt bildete sich das Gehirn des modernen Homo sapiens , das dann die kreative Explosion bewirkte, die wir bis heute fortsetzen.

19.
DAS AUFKOMMEN EINER NEUEN THEORIE
DER EUSOZIALITÄT
    Der evolutionäre Ursprung eines komplexen biologischen Systems lässt sich stets nur dann korrekt rekonstruieren, wenn man es als Ergebnis einer Geschichte von Einzelstadien versteht, die lückenlos verfolgt werden. Ausgehend von empirisch bekannten biologischen Phänomenen in jedem Stadium – sofern vorhanden –, erforscht man dabei das Spektrum von theoretisch möglichen Phänomenen. Jeder Übergang von einem Stadium zum nächsten verlangt eine eigene Modellierung, und jedes Stadium muss in seinen eigenen Kontext möglicher Ursachen und Wirkungen versetzt werden. Nur so lässt sich vorstoßen zu dem, was die fortgeschrittene soziale Evolution und die «Conditio humane», die Natur des Menschen, bedeuten.
    Das erste erkennbare Stadium beim Aufkommen der Eusozialität, das Arbeitsteilung mit dem Anschein von Altruismus zur Folge hat, ist die Bildung von Gruppen in einer frei vermischten Population ansonsten solitärer Individuen. Theoretisch kann es dazu in der Realität auf vielerlei Weise kommen. Gruppen können sich finden, wenn Nistplätze oder Nahrungsquellen, auf die eine Art spezialisiert ist, nur lokal verteilt sind, wenn Eltern und Nachkommen zusammenbleiben, wenn migrierende Kolonnen sich vor einer Niederlassung wiederholt verzweigen oder wenn Herden ihren Anführern an bekannte Futterstellen folgen. Sogar zufällig können sie über gegenseitige lokale Attraktion zusammenfinden.[ 50 ]
    Der Prozess der Gruppenbildung wirkt sich vermutlich stark auf die Wahrscheinlichkeit einer Entwicklung hin zur Eusozialität aus. Am wichtigsten ist dabei die Verstärkung der Gruppenkohäsion und -persistenz. Wie bereits dargestellt, weisen alle bekannten lebenden Evolutionslinien mit primitiv eusozialen Arten (stacheltragende Wespen, Wildbienen der Unterfamilien Halictinae und Xylocopinae, schwammbewohnende Krebse, Termiten der Familie Termopsidae, in Kolonien lebende Blattläuse und Blasenfüße, Ambrosiakäfer und Nacktmulle) Kolonien auf, die verteidigenswerte Nester bauen und bewohnen. In wenigen Fällen bündeln nichtverwandte Individuen ihre Kräfte und bilden kleine Festungen. Nicht miteinander verwandte Kolonien von Zootermopsis angusticollis zum Beispiel fusionieren im Lauf mehrerer Kämpfe zu einer Superkolonie mit einem einzigen Königspaar.[ 51 ] In den meisten Fällen tierischer Eusozialität dagegen startet die Kolonie mit einer einzelnen begatteten Königin (zum Beispiel bei den Hautflüglern) oder einem begatteten Paar (Termiten). Daher wächst die Kolonie in den meisten Fällen über die Nachkommen, die als nichtreproduktive Arbeiter dienen. Bei wenigen, primitiveren eusozialen Arten beschleunigt sich das Wachstum, indem fremde Arbeiter aufgenommen werden oder nicht miteinander verwandte Gründerköniginnen kooperieren.
    Die Gruppierung in Familien kann die Verbreitung eusozialer Allele beschleunigen, führt aber nicht selbst zu fortgeschrittenem

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