Die Sphaeren
für die Navigation dar?«, fragte tyl Loesp.
Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Schon seit einer ganzen Weile nicht mehr. Seit zwanzig Tagen oder so habe ich kein einziges Unterwasserschiff mehr gesehen.«
Tyl Loesp runzelte die Stirn und sah zum näher kommenden Kai. »Weshalb kommen die Oct für gewöhnlich hierher?«
»Wer weiß das schon?«, erwiderte der Kapitän munter. »Wegen des kochenden Wassers, haben wir immer vermutet. Unten am Grund des Sees ist es vielleicht noch viel beeindruckender, wenn man ein Boot hat, mit dem man sich die Sache aus der Nähe ansehen kann. Die Oct verlassen ihre Unterwasserschiffe nie; wir können sie also nicht fragen.« Der
Kapitän nickte in Richtung Kai. »Ich kümmere mich besser ums Anlegemanöver. Entschuldigen Sie, Sir.« Er ging zum Ruderhaus und rief Anweisungen. Der Dampfer drehte sich, und eine größere Rauchwolke kam aus dem hohen Schornstein, bevor die Dampfmaschine des Schiffes wieder ruhiger vor sich hin schnaufte.
»Seit zwanzig Tagen oder so«, wiederholte tyl Loesp leise und wandte sich dann an den nächsten Adjutanten. »Lassen Sie unser Lager abbrechen«, wies er ihn an. »Wir kehren nach Rasselle zurück.«
Eine unheimliche Stille hatte sich über den Hyeng-zhar gelegt. Zusammen mit der Dunkelheit schien es eine Art Tod zu sein.
Der Fluss war auf der ganzen Breite zugefroren, der mittlere Teil zuletzt. Weiterhin floss Wasser in die Schlucht, wenn auch weniger als vorher – es strömte unter dem Eis und stürzte von Dunst umhüllt in die Tiefe, auf die Landschaft aus Türmen, Rampen, Plätzen und Kanälen. Es donnerte noch immer, allerdings nicht mehr annähernd so laut; das leisere Geräusch schien ein passender Partner für das schwache Licht zu sein, das vom dahinkriechenden Rollstern Kiesestraal ausging.
Dann war Oramen eines Nachts erwacht und hatte gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Eine Zeit lang hatte er in der Dunkelheit gelegen, gelauscht und sich vergeblich gefragt, was ihn so beunruhigte. Ein sonderbarer Schrecken erfasste ihn, als er zunächst einen weiteren vom Erzpontifex zurückgelassenen Apparat vermutete, der jetzt aktiv wurde und ihn rief. Aber er hörte nichts. Oramen horchte aufmerksam,
doch es blieb alles still, und nirgends zeigten sich irgendwelche blinkenden Lichter.
Er nahm die Abdeckung von der dicken Nachtkerze und ließ Licht ins Abteil. Es war recht kalt. Oramen hustete – der schwindende Rest eines typischen Leidens der Siedlung, das ihn einige Tage lang ans Bett gefesselt hatte – und sah, wie sein Atem kondensierte.
Es dauerte eine Weile, bis er begriff, was ihm so falsch erschien: die Lautlosigkeit. Es kam kein Donnern mehr vom Wasserfall.
Zu Beginn der nächsten Arbeitsperiode ging er nach draußen, in eine wie ewig scheinende Düsternis. Droffo, Neguste und die beiden verdrießlichen Ritter begleiteten ihn. Um sie herum versammelten sich Menschen und Tiere, bereit dafür, in die Schlucht gebracht zu werden. An diesem Tag waren es einige mehr als am vergangenen, so wie an jedem Tag seit Oramens Ankunft.
Sie schlurften und stampften mit den Füßen, während die Tiere brummten und grunzten, näherten sich den Aufzügen und Kränen, deren Anlagen sich kilometerweit am Rand der Schlucht erstreckten – eine Armee schickte sich an, in die Tiefe vorzustoßen.
Der Himmel war klar. Nur von den Rücken besonders großer Lasttiere, die schwere Wagen oder größere Maschinenteile zogen, stieg etwas Dampf auf. Chunsel, Uoxantch und Ossesyi – Oramen hatte gar nicht gewusst, dass diese großen Kriegstiere so gut gezähmt werden konnten, dass sie sich als Lasttiere verwenden ließen. Er war froh, dass er keine Aufzugsplattform mit diesen eindrucksvollen, aber auch furchterregenden Geschöpfen teilen musste.
Vom Rand der Schlucht aus gesehen bot der Wasserfall einen fantastischen und auch bestürzenden Anblick. Es floss kein Wasser. Es gab keine Wolken, die den Blick auf einen Teil der gewaltigen, von den Fluten gegrabenen Schlucht verwehrten. Die Sicht war völlig ungehindert. Gefrorene Vorhänge und Tücher aus erstarrtem Wasser lagen auf allen Felsvorsprüngen. Die Kanäle unten in der Schlucht – an einem anderen Ort wäre jeder von ihnen ein breiter Fluss gewesen – waren Rinnen voller Eis und Schnee.
Oramen fühlte sich wie der Beobachter einer gewaltigen Verheerung, einer Landschaft, die von einem unvorstellbar riesigen Geschöpf zerwühlt worden war und anschließend noch mehr Verwüstung erfahren
Weitere Kostenlose Bücher