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Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Titel: Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Wacker
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noch vor einer halben Sekunde sein Kopf war. Hohe Ward zuckt zurück und reißt das Gewehr hoch. In Augenhöhe vor ihm in der Wand steckt ein kurzer Pfeil. Die metallische Spitze ist zu vier Fünfteln in den Beton eingedrungen, die Federkiele am anderen Ende sehen aus, als würden sie noch leben. Wie ein Vogel mit Düsenantrieb kommt der nächste Pfeil geflogen, durchschlägt Hohe Ward nebst Umhang in Höhe des Schlüsselbeins und nagelt ihn an die Wand. Noch bevor der Schmerz einsetzen kann, hat Hohe Ward den Abzug seiner Flinte durchgezogen und eine Kelle gehacktes Blei auf die Suche nach dem heimtückischen Schützen geschickt. Durch den Knall des Schusses aufgescheucht stürmen nun auch seine beiden Begleiter durch das Tor und ballern in den vor ihnen liegenden Nebel. In der riesigen Halle klingen die Echos der großkalibrigen Jagdflinten wie die Pauken anlässlich des Kick-of-Meetings zum Jüngsten Gericht. Beißender Rauch zieht in langen Schwaden davon, um sich mit dem Dunst in der Halle zu vereinen.
    «Kann mir mal jemand helfen?», brüllt Hohe Ward mit überschlagender Stimme. «Das tut verdammt weh!»
    Keiner der Angesprochenen nimmt Notiz von ihm. Mit zusammengekniffenen Augen ins Wattemeer vor ihnen starrend sind sie damit beschäftigt, die Flinten mit neuer Munition zu füttern. Eine Maßnahme, die vernünftig, im Augenblick jedoch nicht zwingend notwendig ist, denn statt dem Sirren weiterer Pfeile dringt nur das abgehackte Stöhnen eines augenscheinlich Getroffenen an ihre Ohren.
    «Den haben wir erwischt», sagt der Größere der beiden, ein massiger Mann Mitte vierzig mit einem grobporigen Gesicht und seltsam aufgeworfenen Lippen, an denen er unaufhörlich herumkaut. Kurz taucht seine blasse Zunge auf, huscht von einem Mundwinkel zum anderen und verschwindet wieder.
    «Sollen wir hingehen und ihm den Rest geben?», fragt der andere, ein schmächtiger Mann um die Fünfzig mit eingefallenen Wangen. Die Augen in ihren tief liegenden Höhlen verschießen fortwährend unstete Blicke in alle Richtungen.
    «Was soll das bringen? Der sagt keinen Ton mehr.»
    «Tut er doch!»
    Tatsächlich hat das Stöhnen des unsichtbaren Verwundeten einem stetig an- und abschwellenden Heulen Platz gemacht.
    «Jedenfalls nicht mehr lange.»
    «Woher weißt du das?»
    «Das habe ich im Gefühl.»
    «Du hast Gefühle? Das wäre ja ganz was Neues.»
    «Hätten die Herren vielleicht einmal die Güte …», lässt sich Hohe Ward erneut von der Wand vernehmen. Die beiden Meisterschützen drehen sich um zu ihrem lädierten geistigen Führer.
    «Grundgütiger! Sie sind ja verwundet!», ruft der eine.
    «Heilige Muttergottes! Sie bluten ja!», der andere.
    «Und es tut weh! Sehr weh!», stöhnt Hohe Ward. «Ich glaube, es geht zu Ende mit mir.»
    «Nana, Kopf hoch. So schlimm wirds schon nicht sein», sagt der eine.
    «Wahrscheinlich nur eine Fleischwunde», der andere nach einem kurzen Blick auf den Schaft des Pfeils, «sehr gepflegter Schuss übrigens.» Er packt das gefiederte Ende und beginnt daran herumzubrechen, aber das Ding sitzt fest in der Wand. Hohe Ward kommentiert seine fruchtlosen Bemühungen mit empörtem Geheul.
    «Festgemauert in der Erden …», intoniert der andere, wird aber von seinem Mitstreiter unterbrochen.
    «Fass mal mit an. – Ja, hier an der Schulter. – Zugleeiiich …», ein kurzer Ruck und Hohe Wards Rücken löst sich von der Wand, er bleibt einen kurzen Augenblick taumelnd stehen, dann schlägt er zu Boden wie ein gefällter Baum. Sein Kopf macht beim Aufprall auf den Beton ein hässliches Geräusch. Um das Schulterblatt herum hat sich ein großer, leuchtend roter Fleck breitgemacht. Der stämmige Schütze leckt sich zerstreut über seine dauergeschürzten Lippen.
    «Komisch», sagt er.
    «Was ist komisch?», entgegnet der andere.
    «Ich hätte schwören können, dass sein Blut blau ist.»

cv Die Märkte
    Kein Wunder, dass die ganze Schore zweitausendunddreißig endgültig den Bach runtergegangen ist. Anzeichen dafür gab es schließlich zuhauf: der gigantische Schuldenberg, der dramatisch gesunkene Anteil produktiver, weil wertschöpfender Arbeit auf unter fünf Prozent des Bruttosozialprodukts, die unglaubliche Renditegier der sogenannten Marktteilnehmer, die gegen Null tendierende Bereitschaft der Wohlsituierten einen angemessenen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten und so weiter. Begonnen hatte diese unschöne Entwicklung schon kurz nach dem Rausschmiss aus dem Paradies, die entscheidende Wende

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