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Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Titel: Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Wacker
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mir ein, dass neulich irgendjemand von einer Gralsgesellschaft oder Hütern oder so gesprochen hat. Vielleicht …»
    Bevor Erkan Ederim den Satz beenden kann, hat sich der Münsteraner Polizeipapst zu voller Sitzgröße aufgerichtet. Der Blick aus seinen Augen ist zu flüssiger Lava geworden.
    «Gralshüter? Das haben Sie noch nie gehört, verstanden. Und weil Sie das noch nie gehört haben, habe ich das jetzt auch nicht gehört. Machen Sie einfach Ihren Job – solange Sie ihn noch haben.»
    Dann steht er auf, dreht sich um und verlässt schweren Schrittes den Raum.
    Erkan Ederim lässt eine Gedenkminute verstreichen, bevor er die Füße zurück auf den Tisch legt. Finger weg? Aber gerne! Kurz darauf ist er eingenickt.

xxvi Besuch bei der bösen Jugend
    Seit die Sprengmeister das bereits vierte Mal zugeschlagen haben, ist es mit der Mobilität der Münsteraner Bürger zweiter und dritter Klasse nicht mehr weit her. An jeder Ecke steht ein Schupo und will wissen, was man tut, warum man es tut und ob man es wieder tun will. Ausgesprochen nervtötend, ganz besonders, wenn die Aktivitäten, derer man sich befleißigt, illegalen Charakters sind.
    Vorsichtig fährt Carsten auf seinem Fahrrad den münsterseitigen Treidelweg des früheren Kanals entlang Richtung Kreuzviertel. Das Wetter hat zwar in den letzten Tagen aufgeklart, die pure Freude ist es aber nicht. «Der März soll wie ein Wolf kommen und wie ein Lamm gehen», denkt Carsten gärtnermäßig, als ihm eine Wolke Nieselregen entgegenschlägt und sich wie eine kalte, nasse Hand über seinen Kopf legt, aber es ist müßig sich zu beschweren, denn der Anlass seiner Fahrt ist geschäftlicher Natur und von einer reinen Lustreise so weit entfernt wie die blaue Donau. Kurz hinter der Betonumzäunung der Warendorfer Straße biegt Carsten in einen unbefestigten Weg, der ihn parallel zur alten Ostmarckstraße vorbei an den festen Postenstellen der Münsteraner Ordnungskräfte ins Herz des Kreuzviertels führen wird, wo seine Geschäftspartner – und hoffentlich nur die – bereits auf ihn warten.
    Bedingt durch die schlechte Erwerbsrate seiner alten Profession hat Carsten sein Hobby zum Beruf gemacht und veräußert genetisch manipuliertes Gras in Großabnehmertranchen an eine dankbare zahlungskräftige Klientel. Leider leben seine Kunden in einer für ältere Menschen nicht ungefährlichen Umgebung, was eine entsprechende Bewaffnung nicht nur ratsam, sondern geradezu zur Bürgerpflicht werden lässt. Bevor die Bebauung beginnt dichter zu werden, hält Carsten im Windschatten eines alten, unbeeindruckten Baumes, kontrolliert die Ladung seiner antiken Bundeswehrwumme und setzt sein Gangerkennungszeichen auf: eine alberne erdbeerrote Zwergenmütze. Besser schon jetzt, als zu spät. Die Empfänger der momentan aus Sicherheitsgründen eher spartanischen Lieferung hausen dem Himmel sei Dank direkt hinter dem zweiten Ring, sodass Carsten nicht durch die wirklich gefährlichen Ecken muss. Obwohl die Ordnungskräfte stets ein Bild des Grauens und der Verwahrlosung heraufbeschwören, wenn es um die Darstellung der Zustände im Kreuzviertel geht, bleibt die Wirklichkeit – zumindest was diesen Bereich betrifft – hinter der Beschreibung deutlich zurück. Die Straßen wirken nicht desolater als in anderen Wohnbezirken, abgesehen von ein paar leeren Fensteröffnungen und einigen ausgebrannten Autowracks. Die Gehwege sind mit vornehmlich jungen bis sehr jungen Leuten bevölkert, es geht ruhig und ohne Hektik zu. Eine Ruhe, die allerdings niemals Anlass zu nachlässiger Unbeschwertheit sein sollte, wenn man – wie Carsten – die Siebzig überschritten hat.
    Unbelästigt erreicht Carsten eine zerbombte Industriebrache kurz hinter der alten Hauptgleistrasse der nicht mehr existenten Deutschen Bahn und macht es sich auf ein paar alten Betonelementen bequem. Teile einer halb zerfallenen Lagerhalle schützen ihn vor den immer wieder aufwallenden Regenböen. Jetzt heißt es warten und vor allen Dingen Ruhe bewahren. Es ist noch früh am Tag, möglicherweise noch etwas zu früh für seine Kunden, aber Carsten würde gern deutlich vor Einbruch der Dunkelheit wieder in der bedingten Sicherheit seines Altersruhesitzes Klein-Wilkinghege sein.
    Mit an Resignation grenzender Geduld beobachtet er ein Quartett von E-Rollern, die auf ihren aufgebohrten Decks über den Platz jagen, als gäbe es nichts anderes auf der Welt. Im Grunde gibt es auch nichts anderes mehr. Jedenfalls nicht für Carsten

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